Miroslav Cvetkovic ist es gewohnt, mitten in der Nacht aufzustehen. Meistens fährt er zwischen zwei und drei Uhr mit seinem Kleintransporter auf den Parkplatz des Frischezentrums Frankfurt, der Großhandel für Lebensmittel aus aller Welt im Rhein-Main-Gebiet. Cvetkovic kauft dort Obst und Gemüse für seinen Stand mitten in der Frankfurter Innenstadt. Hier kommen Passanten vom Banker bis zur Verkäuferin vorbei und machen keinen Großeinkauf, sondern decken sich mit Frischkost für den Tag ein. "Die Mädels stehen auf Pink Lady", weiß Cvetkovic, "die Jungs auf Braeburn". Es geht um Apfelsorten und natürlich um den Geschmack. Der ist vielen Stammkunden wichtiger als der Preis.
Cvetkovic kauft seit 32 Jahren auf dem Großmarkt ein und weiß, wo er gute Ware bekommt. In einem Kurzdurchgang sichtet er, was es an den zirka 90 Verkaufsständen gibt, im zweiten Durchlauf wird bestellt. Zu nachtschlafener Zeit herrscht hier reges Treiben. Dauernd schnurren Mulis und Eidechsen vorbei, kleine Elektrofahrzeuge, mit denen die georderte Ware zu den Wagen der Kunden gebracht wird. "Die Zeiten sind härter geworden, die Sitten rauer", erzählt Cvetkovic etwas wehmütig. Die Preise vom Supermarkt nebenan sind nicht zu toppen und die Kunden werden in der Krise sparsamer, manche verabschieden sich gar, weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Manche Großmarkthändler versuchen zu schummeln: Die gelieferte Ware wiegt zu wenig oder hat eine schlechte Qualität. Langjährige Geschäftsbeziehungen spielen für Cvetkovic deshalb auch eine mindestens so große Rolle wie der Preis. Um fünf Uhr ist alles im Transporter, um sechs Uhr öffnet der Laden, der erste Kunde möchte die Götterfrucht-Orangen, weil die so süß und so saftig sind und die Schale nicht konserviert.
Einer der größten Standbetreiber im Frischezentrum Frankfurt, Wolfgang Lindner, bedauert ebenfalls wie sich der Fruchthandel entwickelt hat. "Von einer fairen Preisfindung nach Angebot und Nachfrage kann man kaum noch sprechen", meint er. "Das Preisdiktat der großen Handelsketten lässt einen fairen Wettbewerb nicht mehr zu. Nur noch zehn bis 15 Prozent des Warenumschlags läuft über die freien Märkte, 85 bis 90 Prozent über die großen Handelsketten. Wir haben damit eine klare und bedenkliche Entwicklung hin zu Monopolisten", so Lindner. Der Großhändler muss sich abheben und besondere Kundenwünsche erfüllen. Dazu gehören zum Beispiel genussreife Mangos oder Avocados, die kistenweise auf den Punkt gereift sind oder Muscat Delight, eine sehr aromatische helle Traubensorte. Daneben liegen Clementinen der Sorte Fortuna, die schon hier im Großmarkt 2,50 Euro pro Kilogramm kosten. Sie sind superleicht zu schälen und herrlich aromatisch. Die bekommt man dann für drei bis vier Euro zum Beispiel am Stand von Cvetkovic. "Meine Stammkunden schauen nicht auf den Euro, wenn ihnen die Ware schmeckt und sie wissen, dass sie immer tolle Qualität bekommen", weiß der Profi.
Schon seit 25 Jahren untersucht ÖKO-TEST regelmäßig Obst und Gemüse auf immer umfangreichere Spektren von möglichen Pestizidrückständen. Für den Test Wochenmarkt in unserer Jubiläumsausgabe zogen vier Einkäufer in vier verschiedenen Städten über die Wochenmärkte und kauften sechzig Proben von verschiedenen Gemüse- und Obstsorten ein. Sie wurden im beauftragten Speziallabor auf mögliche Rückstände von zirka 500 Pestizidwirkstoffen sowie - je nach Produkt - auf einige andere Schadstoffe untersucht.
Das Testergebnis
...überrascht uns ein wenig. Die Ware auf dem Wochenmarkt ist nicht besser oder schlechter als die im Supermarkt. Schlechte Noten gibt es vor allem für Rucola und Kopfsalat - hauptsächlich aber für hohe Nitratwerte. In der Rubrik Obst gibt es für mehr als drei Viertel "sehr gute" und "gute" Noten. Bei Paprika hat sich die Situation stark verbessert: Nur eine von zwölf Proben schneidet lediglich mittelmäßig ab. Das - mit Ausnahme von Salat und wenigen Ausreißern - gute Abschneiden der Marktware überrascht, weil die Handelsketten hohe Ansprüche an die Qualitätssicherung stellen und strenge Anforderungen an Ihre Lieferanten haben. Umso besser, wenn sich die Rückstandssituation insgesamt verbessert hat.
Mit einer Ausnahme stecken in allen Kopfsalaten stark erhöhte Nitratwerte. Alle zwölf Rucolasalate enthalten ebenfalls viel Nitrat, in neun Proben wird sogar die für Kopfsalat erlaubte Höchstmenge überschritten. Für Rucola selbst gibt es gar keinen gesetzlichen Grenzwert. Werte zwischen 5.000 und 6.000 Milligramm pro Kilogramm (mg/kg) sind derzeit in der Diskussion. Das Bundesinstitut für Risikobewertung findet allerdings schon den unteren Wert zu hoch gegriffen. Begründung: Bereits ein Verzehr von mehr als 25 Gramm Rucola mit einem mittleren Nitratgehalt zusätzlich zum Durchschnittsverzehr aller in Bezug auf Nitrat wichtigen Lebensmittelgruppen ergäbe eine Überschreitung der duldbaren täglichen Aufnahmemenge.
Anti-Nitrat-Tipps waren übrigens schon Thema in der Nullnummer des ÖKO-TEST-Magazins 1985. Und sind es immer noch. Nitrat ist ein Beispiel dafür, dass Höchstmengen manchmal eher nach politischen und wirtschaftlichen Faktoren festgelegt werden, als aus Sicht des vorbeugenden Verbraucherschutzes. Warum sonst gibt es unterschiedliche Nitrathöchstmengen im Sommer und im Winter? Im Winter liegt die Höchstmenge für Nitrat in Kopfsalat, unter Glas angebaut, bei 4.500 mg/kg. Die akzeptable tägliche Nitratmenge, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorschlägt, wird schon mit 50 Gramm Salat pro Tag überschritten, wenn dieser die Höchstmenge noch knapp einhält.
Rucola weist auch in gut zwei Drittel der Proben erhöhte Werte an anorganischem Bromid auf. Im Kopfsalat sind die Bromidwerte in zwei Proben erhöht. Der Stoff kommt zwar natürlicherweise im Boden vor. Erhöhte Gehalte können aber ein Hinweis auf den Einsatz von Methylbromid sein. Dieses Begasungsmittel ist hochgiftig und ozonschädigend. Es wird zur Entwesung des Bodens eingesetzt. In Deutschland ist das Mittel seit September 2005 in Pflanzenschutzmitteln verboten und auch EU-weit wurde es nicht in die Positivliste der erlaubten Mittel aufgenommen. Im März 2009 liefen die letzten Zulassungen aus, bis März 2010 auch mögliche Aufbrauchfristen.
Von den 60 Proben überschreitet nur eine Rucolaprobe aus Hamburg die gesetzliche Höchstmenge eines Pestizids. Ansonsten wird zwar noch munter gespritzt, die gesetzlichen Grenzwerte aber nur zu einem geringen Anteil ausgeschöpft.
Insgesamt spürte das von uns beauftragte Labor 55 unterschiedliche Pestizidwirkstoffe auf; allein im Kopfsalat waren es 22 verschiedene Pestizide. Im Obst und im Salat kamen relativ oft erhöhte Werte vor, die teilweise zu schlechten Noten führen. Deutlich besser sieht es in der Produktgruppe Roter Paprika aus. Der Kampf gegen Schädlinge konnte von den Erzeugern in den vergangenen Jahren optimiert werden. Sie nutzen inzwischen schon Methoden aus dem biologischen Landbau, die im Paprikaanbau sehr gut funktionieren.
Mehrfachrückstände werden zum problematischen Schadstoffcocktail
Mehrfachrückstände sind weiterhin ein Problem. In gut 20 Prozent der Proben fand das beauftragte Labor fünf und mehr Rückstände - bis zu 13 Wirkstoffe in einer Probe blauer Trauben aus München. Studien zu möglicherweise gesundheitsschädlichen Wirkungen der Stoffe werden jeweils nur mit Einzelstoffen gemacht. Wie sich ein ganzer Schadstoffcocktail auswirkt, ist kaum untersucht. Deshalb werten wir fünf und mehr Rückstände ab, auch wenn sie gering sind.
Seit September 2008 gibt es eine europäische Verordnung, in der die Höchstmengen für alle EU-Mitgliedstaaten einheitlich festgelegt sind. Mit der Harmonisierung stiegen die Höchstmengen teilweise an, weil neben toxikologischen Bewertungen noch Zulassung, Klima, Bodenbeschaffenheit eine Rolle spielen und alle Staaten sich einigen mussten. Zum Teil sind die guten Noten in unserem Test auch darauf zurückzuführen.
Nur einmal wird die Höchstmenge überschritten. Trotzdem wird munter gespritzt
Die Qualitätsunterschiede zwischen dem Obst und Gemüse, das in den vier deutschen Großstädten eingekauft wurde, ist eher gering. Frankfurt liegt leicht vorne, gefolgt von München, Hamburg und Berlin. Viel mehr als auf die jeweilige Stadt kommt es auf die Obst- oder Gemüsesorte an. Rucola und Kopfsalat schneiden überall schlecht ab.
Auszeichnung für ÖKO-TEST
Noch Anfang 2000 kam häufig belastetes Obst und Gemüse aus Spanien. Die Erzeuger hatten keine Ahnung, was ÖKO-TEST ist und konnten oft auch gar nichts mit den Analysedaten anfangen, die wir ihnen schickten. Heute bekommen wir zahlreiche Kommentare, Gutachten und Erklärungen zu den Daten. Denn die Handelsketten sind knallhart. Bei Höchstmengenüberschreitungen werden die entsprechenden Erzeuger oft mit sofortiger Wirkung ausgelistet. Es hat sich im größten europäischen Anbaugebiet für Obst und Gemüse - Almeria - herumgesprochen, wie wichtig ÖKO-TEST ist.
Erfreulicherweise reagierte die andalusische Handelskammer vor Kurzem nicht wütend, sondern mit dem Vorschlag, ÖKO-TEST auszuzeichnen: mit dem Premio Almeria, einem Preis für Personen und Institutionen, die zur Förderung der Agrar- und Ernährungswirtschaft beitragen. Aus Sicht der in der Handelskammer vertretenen Unternehmen haben die "hervorragende Aufklärungsarbeit des ÖKO-TEST-Magazins, der hohe Qualitätsstandard der Untersuchungen und der Mehrwert, den die Testergebnisse von ÖKO-TEST für die Verbraucher bei ihrer Kauforientierung darstellen", genau diesen Anspruch erfüllt.
So haben wir getestet
Der Einkauf
Seit es ÖKO-TEST gibt, testen wir Obst und Gemüse auf Rückstände von Pestiziden. Um die Qualitätskontrolle der großen Handelsketten zu überprüfen, kaufen wir seit Oktober 2006 sogar jeweils drei Proben des zu testenden Obst oder Gemüses zu unterschiedlichen Zeiten in ein und derselben Supermarktkette ein. Da die Ware vom Wochenmarkt eine Weile außen vor blieb, wollten wir jetzt überprüfen, ob sie dort besser oder schlechter ist als bei den Handelsriesen. Wir haben in vier Städten - Berlin, Frankfurt, Hamburg, München - jeweils fünf unterschiedliche Obst- und Gemüsesorten zu jeweils drei verschiedenen Zeitpunkten eingekauft.
Problematische Inhaltsstoffe
Wer sich die zahlreichen Blessuren von Äpfeln und Birnen auf einer Streuobstwiese einmal anschaut, ahnt, dass im professionellen Obst- und Gemüseanbau viele Schädlingsbekämpfungsmittel zum Einsatz kommen. Mittel gegen Pilzwachstum und Insektenfraß sowie Unkräuter werden während der Wachstumsphase mehrfach ausgebracht. Mit zwei großen Screeningmethoden, die von unserem Speziallabor ständig weiterentwickelt werden, kann man einen Großteil der am Markt befindlichen Stoffe analysieren und prüfen, ob Rückstände im Obst und Gemüse verbleiben. Je nach Kultur werden dann noch weitere Untersuchungen ergänzt. In Birnen findet sich beispielsweise noch immer der Wachstumsregulator Chlormequat. Die Anwendung im Obstbau ist schon lange verboten, doch die Bäume speichern das Mittel sehr lange, so dass Chlormequat immer noch in Birnen stecken kann. Auch das Begasungsmittel Methylbromid, das zur Bodenentwesung oder als Vorratsschutz gegen Insekten und Wurmbefall verwendet wurde, ist verboten. Da sich der Stoff nach seiner Anwendung schnell verflüchtigt, ist der direkte Nachweis in oder auf Lebensmittelproben schwierig. Besser eignet sich die Bestimmung des Abbauproduktes von Methylbromid, das anorganische Bromid. Doch Bromid kann auch natürlichen Ursprungs sein, was bei der Beurteilung berücksichtigt werden muss. Rucola und Kopfsalat können Nitrat gut aufnehmen und speichern. Weil die Pflanzen im Winter weniger Licht bekommen, ist Salat in dieser Jahreszeit stärker mit Nitrat gelastet.
Die Bewertung
In der Beurteilung von Pestizidrückständen lehnen wir uns an die europäische Gesetzgebung an. Doch ÖKO-TEST ist strenger als der Gesetzgeber: Wir beginnen stufenweise bereits abzuwerten, wenn mehr als zehn oder 50 Prozent der gesetzlich festgelegten Höchstmenge erreicht sind. Die Überschreitung von Höchstmengen führt automatisch zu einem "ungenügenden" Gesamturteil. Erhöhte Werte an anorganischem Bromid können ein Hinweis auf die Anwendung von Methylbromid sein. Da Erfahrungswerte zeigen, dass der natürliche Gehalt an Bromid in Pflanzen häufig bei null bis fünf Milligramm pro Kilogramm (0-5 mg/kg) liegt, beginnen wir eine moderate Abwertung ab Gehalten über 10 mg/kg. Die Nitratwerte beurteilen wir zum einen anhand der akzeptablen täglichen Aufnahmemenge durch die Weltgesundheitsorganisation, zum anderen nach den geseztlichen Höchstmengen. Da es für Rucola noch keine Höchstmenge gibt, lehnen wir uns an diejenige für Kopfsalate im Unterglasanbau an. Wird dieser Wert überschritten, kann das Produkt nicht besser als "mangelhaft" sein.