Gutes Essen kann gesundheitsschädlich sein, schlechtes ist es immer." Fast 40 Jahre alt ist dieses Zitat von Wolfram Siebeck, dessen spitze Feder und beißende Kritik nicht nur Restaurantbesitzer lange fürchteten. Auch die Köchin zu Hause bekam hin und wieder ihr Fett weg: "Schlecht kochen kann jeder, aber nur die deutsche Hausfrau schafft es, darauf auch noch stolz zu sein". So wird Siebeck in einem Porträt zitiert, das vor etlichen Jahren im Playboy erschien, der immerhin nicht unbedingt zu den Lieblingszeitschriften der gescholtenen Hausfrauen gehört.
Gebratene Garnelen und Lammnieren mit Honig und Balsamico hat ihm seine Frau Barbara vergangenes Jahr zum 85. Geburtstag kredenzt. Hätte sie Brokkoli serviert, wäre Siebeck wohl das Besteck aus der Hand gefallen, denn diesem Gemüse kann der Gourmet gar nichts abgewinnen. "Eher rettet ein CSU-Ministerpräsident unsere Demokratie, als dass irgendwo ein leckerer Brokkoli auf den Tisch kommt", schreibt er in seinem Blog www.wo-isst-siebeck.de. Dort zieht er auch über den neuen Ernährungstrend her, der gerade vor allem in deutschen Großstädten herrscht: Sich vegetarisch oder sogar vegan zu ernähren, ist nicht nach Siebecks Geschmack. "Denn ob man extrem teure Gemüsemenüs in der Spitzengastronomie toleriert oder die bescheidenen Tofuklopse entbehrungsbereiter Hausfrauen erduldet, viel Inspiration haben beide nicht ans Essen gebracht", findet er.
Aber wer weiß, einst ereiferte sich Wolfram Siebeck auch wortreich über Foodblogger, inzwischen ist er selbst einer. Vielleicht munden ihm also eines Tages auch Tofuklopse besser als Lammnierchen. Denn Geschmäcker sind bekanntlich nicht nur verschieden, sie können sich auch verändern.
Wenn dem nicht so wäre, sähe das Angebot in Bio-Läden und Öko-Supermärkten heute anders aus. Denn für überzeugte Naturkostanhänger musste die Ernährung in den 80er-Jahren vor allem eines sein - nämlich vollwertig. Und das bedeutete eben auch: möglichst naturbelassen. Auf dem Speisezettel standen frisch geschrotetes Müsli, Vollkornbrot und -nudeln, Naturreis, Rohkost, Vorzugsmilch, frische Früchte und Kräuter sowie Nüsse. Zucker war weitestgehend tabu, ganz zu schweigen von Schokolade oder süßen Riegeln. Als Süßigkeit ging gerade einmal Trockenobst durch. Und wenn es zu besonderen Anlässen doch mal Kuchen gab, dann nur mit Honig gesüßte Stücke aus Vollkornmehl, die alles andere als leicht und luftig waren.
Ein paar Jahre später hielten Lebensmittel im Bio-Laden Einzug, die anfangs verpönt waren: Backmischungen und fertige Kartoffelprodukte, Pizzaboden und Tiefkühlkost. Auch überzeugte Ökos wollten es jetzt ein wenig leichter haben. Anfangs kritisch beäugt, waren die so genannten Convenience-Produkte bald nicht mehr aus dem Angebot wegzudenken. Und mit der einfacheren Zubereitung erschlossen sich neue Kundenkreise. Bio boomte - und auch Supermärkte wie Discounter nahmen ökologisch angebaute Lebensmittel ins Sortiment auf...