Joseph Wilhelm hat der Gen-Technik den Kampf angesagt, und wenn es sein muss, dann eben mit Liebe. "Wir machen Bio aus Liebe" ist schließlich auch das Motto seiner Firma Rapunzel, eines der größten Öko-Betriebe im Land. Seit 1974 verkauft Rapunzel Bio in der Tüte, im Glas oder in der Dose. Zu den Klassikern der Allgäuer zählen Nussmus und Müslis, zu den Novitäten Brühwürfel ohne Hefe und vegane Reismilchschokolade. 550 Produkte sind es insgesamt, allesamt vegetarisch, 80 Prozent sogar vegan. Rapunzel liefert Ersatz für den Fleischgenuss und trifft damit den Nerv der Zeit. Das Geschäft läuft bestens. 155 Millionen Euro Jahresumsatz hat das Unternehmen zuletzt erwirtschaftet. Klingt nach einem wachstumsorientierten mittelständischen Betrieb mit ökologischer Ausrichtung. Wäre da nicht die Sache mit der Liebe.
Auch andere - Edeka, Volkswagen, McDonald's - haben schon mit viel Gefühl für ihre Produkte geworben. Das weiß auch Joseph Wilhelm, blauer Anzug und gestreiftes Hemd, Rapunzel-Anstecker im Knopfloch. Seit dem Aufenthalt im buddhistischen Kloster trägt der 60-Jährige das Haupt kahl geschoren. "Bio aus Liebe" sei für ihn kein Werbeslogan, sagt er, sondern eine "Herzensangelegenheit". Da ist sie schon wieder - die Emotion. Taucht mitten im Gespräch auf und lässt sich nicht mehr hinter Umsatzzahlen verstecken. Es braucht nur ein paar nachfassende Fragen - und schon wird der Unternehmer zum Geschichtenerzähler.
Mit leichtem Lispeln und unverkennbarer Freude in der Stimme erzählt er die Geschichte von Rapunzel, die vor 40 Jahren im bayerischen Augsburg als Selbstversorgerbetrieb mit 3.000 Mark Startkapital und dem Traum von einer ökologisch besseren Welt begann.
Ursprünglich wollten Joseph Wilhelm, der Bauernsohn, und seine Frau Jennifer Vermeulen gar keine Firma gründen, sondern aus der Konsumgesellschaft aussteigen. Nach einer Auszeit in Griechenland kommen sie doch nach Deutschland zurück, in die Nähe von Augsburg, wo ihr Geschäft als Gärtnerei mit angeschlossenem Naturkostladen beginnt. Auf dem Acker wächst unter anderem Feldsalat, den manche auch als Rapunzelsalat kennen. Der Firmenname ist gefunden.
30 Quadratmeter groß ist der Laden in der Augsburger Katharinengasse, das Angebot überschaubar. Müslis sind von Anfang an dabei, Schafwolle, selbstgebackenes Brot. Mit dem Backofen wissen die Jungunternehmer allerdings nicht so richtig umzugehen. Oft genug heizen sie zu stark ein, das Ergebnis ist steinhart. Verkaufen lässt sich das Brot dennoch. Nur der Boden muss vorher mit einer Kreissäge entfernt werden.
Um den Absatz braucht sich das Ehepaar von Anfang an keine Sorge machen. Nur etwa 100 Bio-Läden gibt es damals in Deutschland, jeder ist froh, wenn er neue Produkte in den Regalen hat. Mit einem bunt bemalten VW-Bully geht Wilhelm auf Verkaufstour durchs Land, vertreibt Rapunzel-Naturkost nach München, Stuttgart, Dortmund, Hamburg. Was fehlt, sind die Rohstoffe, zum Beis...