Das Vorhaben klingt nach Visionen, Wagemut, Mammutaufgabe. Die Herausforderungen werden schon mit denen der Mondlandung vor 40 Jahren verglichen. Ein Jahrhundertprojekt, das helfen soll, ein Jahrtausendproblem zu lösen: den Energiehunger Europas und den wachsenden Energiebedarf Afrikas zu stillen. Umweltfreundlich, ohne durch zusätzlichen CO2-Ausstoß das Weltklima weiter anzuheizen. "Desertec ist aus unserer Sicht ein visionäres und sehr spannendes Projekt. Eine Fläche von 300 mal 300 Kilometer mit Parabolspiegeln in der Sahara würde ausreichen, um den gesamten Energiebedarf der Erde zu decken", so ein Siemens-Sprecher.
Konkret soll es zwar immer noch riesig, aber doch ein paar Nummern kleiner zugehen. 15 Prozent des europäischen und "ein erheblicher Anteil" des Strombedarfs der Erzeugerländer sollen durch Solarkraftwerke in der Sahara und auf der Arabischen Halbinsel gedeckt werden. Im Jahr 2050. Wenn alles klappt wie geplant. Zu den Befürwortern des Projekts zählen nicht nur die beteiligten Unternehmen. Die Koalition ist bunter als ein Grünen-Parteitag Anfang der 1980er-Jahre: Lob kam von Greenpeace ebenso wie vom Club of Rome. Angela Merkel ist erfreut, dass sich deutsche Unternehmen an der Initiative beteiligen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso glaubt sogar, das Projekt helfe, die "Vision einer kohlendioxidarmen europäischen Gesellschaft zu realisieren".
Zu den entschiedensten Kritikern gehörte der kürzlich verstorbene SPD-Politiker und Vorsitzende des Weltrats für Erneuerbare Energien, Hermann Scheer. Das heißt jedoch nicht, dass die (partei)politische Meinungs- und Lagerbildung abgeschlossen ist. Leise Bedenken meldete auch der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) an. Lars Josefsson, Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, hielt das Projekt sogar für unrealistisch. Und Franz Alt. Der Publizist engagiert sich seit vielen Jahren für Solarenergie und befindet kurz und knapp: "Ich bin sehr dafür, dass Afrika Solarstrom nutzt. Aber doch bitte für Tunis, Kairo, Alexandria, für die dortigen Millionenstädte und Dörfer."
Hier das Pro und Kontra für den Solarstrom aus der Wüste
Argumente für Desertec
Sonne im Überfluss: In Deutschland scheint die Sonne bestenfalls 1.600 Stunden im Jahr. In den Wüstengebieten Afrikas dagegen mehr als 3.000. Zudem ist die Strahlung dreifach stärker. In nur sechs Stunden kann theoretisch in den Wüsten der Welt mehr Energie erzeugt werden, als die Menschheit im ganzen Jahr verbraucht.
Versorgungssicherheit: Auch wenn die Sonne nicht scheint, wird Strom gebraucht. Was also tun, wenn es Nacht wird in Afrika? Kein Problem, sagen die Befürworter von Desertec. Sonnenenergie kann problemlos zum Beispiel in verflüssigtem Salz gespeichert und bei Bedarf in Strom umgewandelt werden.
Günstiger Strom: Über die Preise für den Solarstrom aus Afrika gibt es bisher ganz unterschiedliche Vorstellungen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt geht von gut sechs Cent pro Kilowattstunde im Jahr 2020 und fünf im Jahr 2050 aus. Dagegen schätzt der Verband Eurosolar den Preis 2020 auf 20 Cent pro Kilowattstunde. Greenpeace gibt die Preise mit 15 Cent an Orten mit hoher Sonneneinstrahlung und 23 Cent an weniger sonnenverwöhnten Standorten an. Mit zunehmender Größe der Anlagen, höheren Fertigungskapazitäten für die Komponenten, einer wachsenden Anzahl entsprechender Lieferanten sowie Verbesserungen durch weitere Forschung und Entwicklung sollen die Kosten auf acht Cent sinken. Damit sollen solarthermische Kraftwerke bereits in fünf bis zehn Jahren konkurrenzfähig zu Mittellastkraftwerken (zum Beispiel Kohle) sein.
Weniger CO2: Solarthermische Kraftwerke spielen für Greenpeace eine zentrale Rolle zur Verminderung der CO2-Emissionen. Einer Studie der Umweltorganisation zufolge kann "ein Viertel des weltweiten Strombedarfs zukünftig in solarthermischen Kraftwerken umweltfreundlich, preiswert und zuverlässig erzeugt werden". Solarthermische Kraftwerke könnten damit dreimal mehr Strom produzieren als alle Atomkraftwerke der Welt. Bis 2050 könnten dadurch 4,7 Milliarden Tonnen CO2, sechsmal mehr als der derzeitige CO2-Ausstoß Deutschlands, vermieden werden.
Chancen für Afrika: Eine Investition von 400 Milliarden Euro, viel davon in politisch relativ stabilen Ländern wie Marokko oder Tunesien, eröffnet ungeahnte wirtschaftliche Perspektiven, so die Befürworter.
Arbeitsplätze in Deutschland: Auch hierzulande soll Desertec für enormen wirtschaftlichen Schwung sorgen. Das Wuppertal-Institut rechnete bis 2050 im günstigsten Falle mit zwei Billionen Euro Umsatz für die am Projekt beteiligten Firmen - weil Desertec als Initialzündung weitere Aufträge nach sich zieht. Zudem könnten allein in Deutschland rund 240.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Förderung erneuerbarer Energien: Zwei der am meisten um die Ecke gedachten Argumente kamen vom Solarmagazin Photon. "Die beteiligten Unternehmen haben das Problem der Finanzierung angesprochen und Abnahmegarantien zu einem bestimmten Preis ins Spiel gebracht. Nach genau diesem Prinzip funktioniert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), nur waren Preisgarantien bislang verpönt. Jetzt werden sie von den Energiekonzernen gefordert, die das EEG immer bekämpft haben", hieß es zur Begründung, warum Desertec den erneuerbaren Energien in Deutschland einen kräftigen Schub versetzen könnte. Außerdem stelle sich die Frage, warum noch neue Atom- oder Kohlekraftwerke gebaut werden sollten, wenn selbst die deutsche Großindustrie offensichtlich der Auffassung sei, dass sich mit Solarkraftwerken die Energieversorgung sichern lasse.
Was gegen Desertec spricht
Sonne im Überfluss: Auch in Deutschland - und in jedem anderen Land - liefert die Sonne an einem Tag mehr Energie, als im Jahr an Strom verbraucht wird. Es geht nur darum, die Sonnenenergie intelligent zu nutzen und zu speichern. Schon bis 2020, bevor der erste Strom aus Desertec fließt, kann der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung in Deutschland auf über 60 Prozent steigen, hat Eurosolar bereits vor drei Jahren vorgerechnet. Außerdem ist ihr Anteil seit 2000 bereits von 4 auf 19 Prozent gestiegen. Das sind 15 Prozent und damit genauso viel, wie Desertec im Jahr 2050 beisteuern soll. Die Investitionen dafür hätten jedoch nur bei 80 Milliarden Euro gelegen, also bei einem Fünftel des Wüstenstromprojekts.
Alles beim Alten I: Wie der Teufel das Weihwasser fürchten die großen Energiekonzerne dezentrale Energieerzeugung zum Beispiel durch Photovoltaikanlagen auf den Hausdächern, Windparks und Bio-Gasanlagen. Denn nichts gefährdet ihre Position nachhaltiger. Daher haben sie nichts unversucht gelassen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die dezentralen Energien subventioniert, zu unterlaufen und zu torpedieren. Für den Kampf um den Machterhalt ist Desertec ein Geschenk der Sonne. Das Projekt verwandelt die dezentrale Energiequelle Sonne in eine zentrale, von den Konzernen beherrschte und kontrollierte Stromerzeugung.
Gleichzeitig können sie sich als grüne Unternehmen präsentieren. Das war mit den anderen Versuchen, die Kontrolle zu behalten, nicht (mehr) möglich. Die Atomkraft taugt dafür schon lange nicht mehr, auch wenn einige Interessenten immer mal wieder von neuen AKWs sprechen. Für riesige Staudämme ist hierzulande ohnehin kein Platz - und Kritik an solchen Projekten gibt es inzwischen weltweit. Die Kernfusion, die lange Zeit ein Hoffnungsträger der Energiekonzerne war, ist so gut wie am Ende, bevor mit ihr richtig begonnen wurde.
Alles beim Alten II: Das Wüstenstromspektakel liegt in ferner, aber nicht zu ferner Zukunft. So können die politischen Befürworter der Atomkraft in Einmütigkeit mit den Konzernlenkern dafür sorgen, die Laufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke zu verlängern - als hochprofitable "Übergangslösung". Zu dem bis zur Energiewende nötigen Energiemix zählen - da liefert Desertec, anders als Angela Merkel befürchtet, die besten Argumente - auch neue Kohlekraftwerke. Mit den bekannten Folgen für das Klima .
Günstiger Strom: Auch hierzulande lässt sich kostengünstig Sonnenstrom erzeugen. Schon in ein paar Jahren wird der Photovoltaikstrom vom eigenen Hausdach günstiger als Strom aus der Steckdose sein.
Arbeitsplätze in Deutschland: Sonnenstrom vom Hausdach, Windräder und Bio-Gasanlagen vor Ort schaffen viel mehr Arbeitsplätze in Deutschland als Desertec.
Zu spät, zu wenig: Die Sonnenstromlieferungen sollen 2020 beginnen. Zwei Prozent des europäischen Strombedarfs sollen dann aus Afrika stammen. 2030, in mehr als 20 Jahren, sollen es gerade mal fünf Prozent sein. Das ist viel zu wenig und kommt viel zu spät für den Kampf gegen den Klimawandel. Zum Ziel der EU, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu senken, kann Desertec überhaupt nichts beitragen.
Neue Abhängigkeit: Nicht erst, seit Wladimir Putin den Gashahn nach Belieben auf- und zudreht, ist bekannt, wie gefährlich die Abhängigkeit von einem oder wenigen Energielieferanten ist. Schon 1973 stürzte die Welt in die Ölkrise, weil die OPEC die Ölförderung um gerade einmal fünf Prozent drosselte. Mit Desertec entsteht eine neue Abhängigkeit von Staaten, über deren politische Verfassung im Jahr 2050 man nur spekulieren kann.
Neokolonialismus: Derzeit sei es noch eine "eurozentristische Idee", kritisierte Dieter Uh das Wüstenstromprojekt. Der Mann weiß, wovon er redet; er ist Projektleiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Marokko. Dass der meiste Strom zunächst für die afrikanischen Staaten sein soll, bestärkt Uh nur in seiner Einschätzung: "Das lässt völlig außer Acht, dass Strom aus einem Solarkraftwerk schlicht und ergreifend für diese Länder zu teuer ist." Auch Misereor meldete Bedenken an. Zur Vermeidung von Konflikten bei der Landnutzung solle man kleinere, dezentrale Anlagen bauen. Denn die Wüsten sähen zwar ungenutzt aus. Aber die Rechte zum Beispiel von Nomaden müssten berücksichtigt werden, selbst wenn die keine "Landrechtsurkunden" hätten.
Das Fazit
Kurz: Wir brauchen keine Energieversorgung über Afrika. Das ist altes, überholtes, antiquiertes Denken und wird wahnsinnig teuer (Franz Alt).
Etwas länger: Ziel der Energiekonzerne war und ist, die Energiewende um weitere 30 bis 40 Jahre hinauszuzögern und dann die Beschaffung erneuerbarer Energien so zu organisieren, dass das Geschäft größtenteils in ihren Händen liegt (Eurosolar).
Ganz kurz: Damit ist alles gesagt.