Wie kann man Energiekosten senken? Ist es sinnvoll, den Anbieter zu wechseln? Wir haben mit Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW, über die Preisentwicklung für Strom, Gas und Öl gesprochen. Außerdem geht es in dem Interrview um den Ausstieg aus der Atomernergie und den Ausbau erneuerbarer Energien.
"Wer einen bezahlbaren Tarif hat, sollte stillhalten"
ÖKO-TEST: Herr Sieverding, wie sehen Sie die Preisentwicklung für Strom, Gas und Öl durch den Krieg in der Ukraine?
Sieverding: Seit Kriegsbeginn steigt die Preiskurve an den Öl- und Gasmärkten noch steiler an und erreicht täglich neue Rekordhöhen. An den Zapfsäulen schlägt das sofort durch, während es bei den Strom- und Gastarifen erst mit der nächsten Preiserhöhung durchgesetzt wird. Die sind allerdings vorprogrammiert und dürften auch Haushalte treffen, die bereits 2021 oder zum Jahreswechsel eine Erhöhung hinnehmen mussten.
Wer ist besonders von den Rekordpreisen für Energie betroffen?
Sieverding: Teurer wurde es für alle. Stark betroffen sind Menschen in der sozialen Grundsicherung, aber vor allem Haushalte, deren Einkommen knapp über den Einkommensgrenzen für staatliche Leistungen liegt. Diese zahlen einen hohen Anteil ihres Einkommens für Energie und bekommen keinen Heizkostenzuschuss.
Gibt es überhaupt noch Möglichkeiten, auf einen günstigen Tarif zu wechseln?
Sieverding: Nein, die Zeit der Schnäppchentarife für Strom und Gas ist seit Oktober vorbei. Es geht nur noch darum, den Schaden zu minimieren. Durch weitere Preissteigerungen wird es unruhig bleiben. Die Abschaffung der EEG-Umlage hilft und wird den Strompreis um 3,7 ct /kWh senken.
Offen bleibt, ob sie weitere Preiserhöhungen verhindern kann. Wer einen bezahlbaren Tarif hat, sollte stillhalten. Wer wechseln muss, sollte kurze Vertragslaufzeiten von sechs bis zwölf Monaten wählen. Alles andere ist eine Wette auf die Strompreisentwicklung.
Wenig Sparpotenzial durch Beleuchtung und Stand-by
Sollte ich jetzt meinen Strom- oder Energieanbieter wechseln, um der Ukraine zu helfen?
Sieverding: Nein, der Strom- und Gasmarkt ist zu kompliziert, um einfache Lösungen zu versprechen. In den meisten Regionen in Deutschland beziehen Verbraucher russisches Gas, egal von welchem Anbieter. Auch im Stromnetz lässt es sich nicht vermeiden, dass ein Teil des Stroms in Gaskraftwerken mit russischem Erdgas produziert wird.
Was können Haushalte mittelfristig tun, um Energiekosten zu senken?
Sieverding: Da findet man viele Tipps zum Beispiel auf unseren Internetseiten. Beleuchtung und Stand-by haben nur wenig Sparpotenzial. Mit das größte Sparpotenzial liegt bei Heizungspumpen. Bei Großgeräten muss man schauen, ob die Stromeinsparung eine Neuanschaffung rechtfertigt.
Gesamtökologisch kann es sogar von Vorteil sein, vorzeitig ein funktionierendes Gerät wegzuwerfen. Sehr relevant ist die elektrische Warmwasserbereitung. Hier kann ein elektronischer Durchlauferhitzer oder ein neuer Boiler viel bringen.
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Ausstieg aus der Atomenergie beziehungsweise der Kohleverstromung: Sind die Erneuerbaren schuld an der Preisexplosion?
Sieverding: Nein, im Gegenteil. Wir haben sonnenklar den Beweis, dass die Energiepreiskrise eine Krise der fossilen Energien ist, vor allem bei Erdgas. Das hängt mit dem Krieg in der Ukraine und dem Verhalten Russlands zusammen, davor auch mit einer Kältewelle in Asien und der weltweit rasch wachsenden Energienachfrage nach der Coronapandemie.
Den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen
Erfordert der Krieg eine Neubewertung beim Ausbau der Erneuerbaren?
Sieverding: Dieser Krieg verschiebt die Prioritäten. Er zeigt dringlich: Wir müssen uns unabhängiger von Gas- und Ölimporten machen. Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden und bei Fragen der Akzeptanz verlieren grundsätzliche Bedenken wie die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder gegen Windkraft im Wald aus meiner Sicht an Bedeutung.
Kann man jetzt noch guten Gewissens auf eine Gasheizung wechseln?
Sieverding: Seit 2019 gibt es attraktive Fördermittel für den Austausch der Ölheizung, doch leider haben sich bislang nahezu 50 % für den Wechsel zu Gas entschieden und die Stadtwerke haben das mit günstigen Anschlusskosten angereizt. Bereits jetzt entpuppt sich das als Fehlinvestition. Die Zeiten neuer Gasheizungen sind zu Ende und der Siegeszug der Wärmepumpe scheint unaufhaltsam.
Das Thema Versorgungssicherheit ernst nehmen
Kohleausstieg möglichst bis 2030, Atomausstieg, mehr Strom für Wärmepumpen, E-Autos und Industrie? Gehen in Deutschland demnächst die Lichter aus?
Sieverding: Man muss das Thema Versorgungssicherheit auf jeden Fall ernst nehmen. Aktuell steht erstmals die Versorgung mit Erdgas auf der Kippe, wobei der milde Februar die Lage entspannt hat. Bei der Frage, ob wir angesichts der hohen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen den kompletten Kohleausstieg bis 2030 auf Biegen und Brechen durchziehen sollten, halte ich eine weniger emotionale Diskussion für notwendig.
Zumindest einige Kraftwerke und die Infrastruktur für Steinkohle zu erhalten, könnte auch noch nach 2030 sinnvoll sein. Auch weil einige Studien nahelegen, dass der CO2-Ausstoß von Gas und Kohle gar nicht so unterschiedlich ist, Stichwort Methanemissionen bei der Gasgewinnung und Umwandlungsverluste bei Flüssigerdgas.
Nachgefragt: Kommen jetzt neue Atomkraftwerke?
Sieverding: Die Energiepolitik steht durch den Krieg vor einer Neubewertung. Bundeswirtschaftsminister Habeck prüft derzeit eine mögliche Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerke. Auch wenn die Tendenz bei Stilllegen bleiben dürfte, würde ich die Prüfung als Entgegenkommen sehen, dass auch die Grünen kompromissbereit sind.
Einen AKW Neubau halte ich dennoch für ausgeschlossen, das ist zu teuer und würde viel zu lange dauern. Zudem kommt das Uran zu großen Teilen aus Russland und Kasachstan.
Welche Rolle spielt in Zukunft der CO2-Preis auf fossile Energien?
Sieverding: Im Moment schwankt der CO2-Preis sehr stark zwischen 60 und 100 Euro je Tonne CO2. Das verschärft die Lage am Strommarkt für Verbraucher und Wirtschaft. Aus Klimaschutzgründen ist ein steigender CO2-Preis sinnvoll, aber dieser Sprung ging sehr schnell und birgt die Gefahr, dass energieintensive Unternehmen existenzielle Probleme bekommen.
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