Aktualisiert am 01.09.2016 | Die Zeiten, in denen Vegetarier und erst recht Veganer als "Graslutscher" oder "Körnerfresser" verlacht wurden und sich genötigt sahen, ihren Lebensstil zu rechtfertigen, gehören weitgehend der Vergangenheit an. Kaum einer zweifelt noch daran, dass es gesund ist und zudem gut für die Umwelt, seinen Fleischkonsum zu reduzieren oder gleich komplett auf Fleisch zu verzichten. Debatten zu bestimmten Aspekten der pflanzlichen Ernährung gibt es jedoch nach wie vor. Vor allem die Frage, ob man trotz des Verzichts auf tierische Lebensmittel ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt ist.
Tatsächlich gibt es eine Reihe von Nährstoffen, die vor allem bei einer veganen Ernährung zu kurz kommen können. Kritisch sind die Vitamine B12, B2 und D, Mineralstoffe wie Eisen, Jod, Zink und Calcium, die Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA sowie hochwertiges Eiweiß. Doch mit einem abwechslungsreichen, gut durchdachten Speiseplan erhalten auch Veganer diese Nährstoffe (mit Ausnahme von Vitamin B12) in ausreichendem Maße.
So decken Veganer ihren Vitaminbedarf über die Ernährung ab
Allerdings sind diese wichtigen Stoffe aus pflanzlicher Nahrung häufig nicht so gut für den Körper verfügbar wie aus tierischen Quellen. Entscheidend ist es daher, die Lebensmittel richtig zuzubereiten und gut zu kombinieren. So kann dreiwertiges Eisen aus Getreide bei gleichzeitigem Verzehr von Vitamin C besser verwertet werden. Eisenreiche Lebensmittel wie Haferflocken, Amarant, Quinoa, Hülsenfrüchte, Nüsse oder Samen kombiniert man daher am besten mit Gemüse und Obst. Getreide und Hülsenfrüchte sind auch reich an Zink. Das Einweichen von Hülsenfrüchten oder das Gehenlassen von Sauerteig verbessert die Verfügbarkeit.
Das vor allem in Milchprodukten vorkommende Calcium können Veganer durch Verzehr von calciumreichem Gemüse wie Grünkohl, Spinat, Fenchel, Mangold und Salat sowie durch getrocknete Feigen, Sesammus, Mandeln, Haselnüsse sowie Sojafleisch und Kichererbsen ersetzen. Außerdem empfiehlt es sich, calciumreiches Mineralwasser (mindestens 150 Milligramm Calcium pro Liter) zu trinken. Ausreichend Jod erhält man über jodiertes Speisesalz, Meersalz oder auch Meeresalgen. Jedoch dürfen nur Algen mit moderatem Jodgehalt auf den Teller kommen, zum Beispiel Nori- oder Rotalgen. Vitamin B2, enthalten vor allem in Milchprodukten und Fleisch, steckt auch in Vollkornprodukten, Brokkoli, Grünkohl und Hefe.
Pflanzliche Alternativen für Omega-3-Fettsäuren
Um die biologische Wertigkeit von pflanzlichem Eiweiß zu verbessern, sollte man auch Sojaprodukte, Hülsenfrüchte und Ölsamen wie Sesam oder Sonnenblumenkerne zu sich nehmen - nicht unbedingt gleichzeitig, sondern über den Tag verteilt. Wichtige Omega-3-Fettsäuren wie EPA und DHA sind vor allem in Meeresfisch enthalten. Jedoch kann der Körper sie auch in geringen Mengen aus Alpha-Linolensäure selbst bilden. Und die wiederum steckt in pflanzlichen Ölen wie Leinöl, Raps- und Sojaöl, aber auch in Walnüssen und Leinsamen.
Auch Vitamin D ist kaum in pflanzlichen Nahrungsmitteln vorhanden - abgesehen von geringen Mengen in einigen Speisepilzen und Avocados. Den größten Teil der Versorgung übernimmt das Sonnenlicht. Mithilfe der UV-Strahlung wird Vitamin D über die Haut gebildet. Im Winter kann die Versorgung in unseren Breiten manchmal unzureichend sein, nicht nur für Veganer. Engpässe vermeiden kann, wer im Sommer viel an die frische Luft geht. Denn das Vitamin wird gespeichert und die Versorgung reicht so bis in den Winter.
Nahrungsergänzungsmittel für Veganer im Test: Das B12-Problem
Schwieriger ist es mit dem Vitamin B12 (Cobalamin). Obwohl wir am Tag nur etwa drei Millionstel Gramm (3 µg) davon brauchen, ist Vitamin B12 für den Körper unverzichtbar. Denn es schützt die Nervenzellen und ist daran beteiligt, das Risiko von Arteriosklerose (Gefäßverhärtung und -verstopfung) zu vermindern. Vitamin B12 wirkt zusammen mit Folat und fördert dadurch den Reifungsprozess der roten Blutkörperchen im Knochenmark.
Es kommt allerdings ausschließlich in tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Fisch, Milch, Milchprodukten und Eiern vor. Pflanzliche Lebensmittel enthalten dieses Vitamin nur, wenn sie mittels einer Bakteriengärung hergestellt werden, etwa Sauerkraut, denn einige Bakterien können Vitamin B12 produzieren. Die Gehalte sind allerdings verschwindend gering und leisten nur einen unzureichenden Beitrag zur Bedarfsdeckung.
Veganer sind häufig unzureichend mit Vitamin B12 versorgt
Zwar wiesen laut Vegetarierbund Deutschland (Vebu) Meeresalgen wie Nori oder die Süßwasseralge Chlorella in einigen Untersuchungen erhebliche Mengen an Vitamin B12 auf. Allerdings gebe es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, ob und wie es für den Menschen verwertbar ist. "Derzeit ist kein natürliches pflanzliches Lebensmittel bekannt, dass den Tagesbedarf an Vitamin B12 decken kann", fasst Dr. Markus Keller vom Institut für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE) zusammen.
Zwar reicht das bei gesunden Menschen im Körper, vor allem in der Leber, gespeicherte Vitamin B12 auch bei völliger Fleischabstinenz für mindestens zwei bis drei Jahre, dennoch haben Veganer und Vegetarier, die wenig Milchprodukte verzehren, ein erhöhtes Risiko für einen Mangel an Cobalamin. Die Deutsche Vegan-Studie der Universität Hannover ergab, dass 80 Prozent der Veganer unzureichend mit dem Vitamin versorgt sind. Dauerhaft zu wenig Vitamin B12 geht mit Blutarmut und - gefährlicher noch, da irreversibel - mit Schäden am zentralen Nervensystem einher. Nicht zuletzt wird ein Vitamin-B12-Mangel mit Demenz in Zusammenhang gebracht.
Wer als Veganer keine Unterversorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen riskieren will, muss sich also sehr gut mit den Nährstoffgehalten in Lebensmitteln und den Möglichkeiten sie zu kombinieren auskennen. Viele Vegetarier und Veganer sind unsicher, ob sie ausreichend versorgt sind - und greifen vorsorglich zu verschiedenen Nahrungsergänzungsmitteln.
Mehrzahl der Nahrungsergänzungsmittel für Veganer fällt durch
Neun dieser Produkte haben wir nun einem umfangreichen Test unterzogen. Sie enthalten einen Mix aus Vitaminen, Mineral- und Nährstoffen.
Das Ergebnis: Ein Produkt schneidet noch mit "ausreichend" ab, die meisten der untersuchten Nahrungsergänzungen fallen jedoch mit "ungenügend" durch. Der Grund: Bis auf Vitamin B12 sind alle anderen Zusätze überflüssig, da auch Veganer sie durch eine abwechslungsreiche Ernährung aufnehmen können. Die Präparate bieten also dem gesunden Anwender keinen Nutzen.
Überflüssig - mit einer Ausnahme: Alle getesteten Präparate enthalten Vitamin B12. Das ist auch sinnvoll, denn wer komplett auf tierische Lebensmittel verzichtet, muss es supplementieren. Wir werten daher den Zusatz von Vitamin B12 nicht ab.
Viele Nahrungsergänzungsmittel im Test sind überdosiert
Zu viel des vermeintlich Guten: Einzelne Vitamine und Mineralstoffe sind zum Teil kräftig überdosiert. Da es nach wie vor keine gesetzliche Regelung für Höchstmengen von Vitaminen und Mineralstoffen in Nahrungsergänzungsmitteln gibt, orientieren wir uns bei der Bewertung an den Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).
So meinen es einige Hersteller mit dem für Veganer unentbehrlichen Vitamin B12 denn doch zu gut. Vor allem ein Produkt liegen mit einer Tagesdosis von 1.000 Mikrogramm (µg) um mehr als das Hundertfache über der vom BfR empfohlenen Menge von 9 µg pro Tag in Nahrungsergänzungsmitteln. In seiner Risikobewertung von Vitamin B12 geht das BfR zwar davon aus, dass es selbst bei oraler Gabe höherer Mengen nicht zu Überdosierungserscheinungen kommt, ein Nutzen sei aber ebenso wenig ersichtlich. Darüber hinaus ist die Bioverfügbarkeit von Cobalamin umso geringer, je höher die zugeführte Einzeldosis ist. Viel hilft also bei B12 nicht viel. Denn gesunde Menschen können das Vitamin nur begrenzt absorbieren und auch nicht beliebig speichern.
Unnötige Zusätze in vielen Nahrungsergänzungsmitteln für Veganer
Die Spurenelemente Eisen, Kupfer und Mangan sollten laut BfR-Empfehlung überhaupt nicht in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sein - entsprechende Zusätze werten wir jeweils um zwei Noten ab. Den Vogel in Sachen Überdosierung schießt das Präparat eines weiteren Anbieters ab. Schon mit einer einzigen Tablette wären vor allem die darin enthaltenen Vitamine gemessen an der BfR-Empfehlung deutlich überdosiert. Die empfohlene Tagesdosis liegt aber sogar bei drei Tabletten.
Prinzip Gießkanne: Darüber hinaus enthalten die Tabletten desselben Herstellers einen willkürlich erscheinenden Mix an pflanzlichen Bestandteilen - von Apfelpektin und Borretschöl über Brokkolipulver und Knoblauch bis hin zu Olivenblättern und Schwarzem Pfeffer. Obwohl mengenmäßig ausgelobt, fehlt eine nähere Beschreibung, anhand derer man erkennen könnte, welche Effekte von ihnen zu erwarten sind. Wir werten diese nicht näher definierten Zusätze um eine Note ab. Abgesehen davon ist es nicht schlüssig, Zutaten wie Gemüse, Pfeffer oder Knoblauch in eine Pille zu pressen. Die gehören doch eigentlich zu einem ausgewogenen Speiseplan, erst recht bei fleischloser Ernährung.
Fehlender Warnhinweis auf einem Nahrungsergänzungsmittel
Fehlende Hinweise: Den meisten Produkten ist Zink zugesetzt - noch dazu in Mengen, die die Empfehlungen des BfR überschreiten. Allerdings findet sich auf keinem dieser Präparate eine Altersbeschränkung - dabei sollen Produkte mit Zink laut BfR nicht von Kindern und Jugendlichen eingenommen werden.
Marketinglyrik: Das in seinen Kapseln verwendete Hydroxycobalamin besitze "hervorzuhebende, spezifische Wirkungen, die mit den anderen B12-Formen so nicht erreicht werden können", wirbt ein Hersteller im Beipackzettel. Es habe von allen Cobalaminen die beste Depotwirkung, was eine langanhaltende und gleichmäßige B12-Versorgung gewährleiste. Wir halten zu allgemeine Gesundheitsaussagen wie diese für Marketinglyrik. Denn es ist weder ersichtlich, welche Vorteile der Verbraucher davon hat, noch ist eine höhere Wirksamkeit belegt. Im Gegenteil: Dr. Markus Keller, Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE), ordnet das künstliche, vorzugsweise in Supplementen eingesetzte Cyanocobalamin und die natürlichen B12-Formen Hydroxy- und Methylcobalamin von der Wirksamkeit her als gleichwertig ein.
Das schmeckt uns nicht: Die Brausetabletten eines anderen Herstellers enthalten den künstlichen Süßstoff Sucralose ("Chlorzucker"). Die chlororganische Verbindung wird zwar vom Körper nicht verstoffwechselt, belastet aber durch ihren langsamen Abbau die Umwelt.
Sind Vitaminpräparate für Veganer wirklich pflanzlich?
Veganer, die Vitaminpräparate einnehmen, sollten darauf achten, dass bestimmte Hilfs- oder Zusatzstoffe durchaus tierischen Ursprungs sein können. Etwa Wollfett (Lanolin), Lactose (Milchzucker) in Lutschtabletten oder Gelatine in Kapseln. Aber auch Stearinsäure oder Magnesiumstearat können aus tierischen Ölen erzeugt worden sein, auch mithilfe von Gentechnik. Hersteller müssen das nicht auf der Verpackung angeben, da das deutsche Lebensmittelrecht keine verpflichtende Regelung vorsieht, Zutaten, Hilfs- oder Zusatzstoffe tierischen Ursprungs zu kennzeichnen.
Verbraucher haben daher folgende Möglichkeiten: entweder direkt bei den Herstellern nachfragen oder sich auf entsprechende Auslobungen auf Verpackung oder Beipackzettel verlassen. Orientierung geben auch die Logos der Vegan Society England ("Veganblume") und der Europäischen Vegetarier-Union ("V-Label"). Nahrungsergänzungen sind damit jedoch bislang nur vereinzelt gekennzeichnet. Allerdings: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Denn der Nachweis, ob ein Inhaltsstoff tatsächlich pflanzlichen Ursprungs ist beziehungsweise ob während des gesamten Herstellungsprozesses garantiert keine tierischen Bestandteile verwendet wurden, ist analytisch nicht möglich.
Rechtzeitig Vitamin-B12-Mangel erkennen
Es gibt verschiedene Verfahren, um den Vitamin-B12-Status zu bestimmen, absolut zuverlässig ist allerdings keines von ihnen.
Serumtest: Bestimmt den Gesamt-Vitamin-B12-Spiegel im Blut(-Serum), ist aber nicht aussagekräftig genug, weil er auch Formen von Vitamin B12 (Analoga) erfasst, die der Körper nicht verwerten kann. Wesentlich aussagekräftiger: die Bestimmung des Holo-TC-Wertes. Holotranscobalamin (Holo-TC) ist die aktive Vitamin-B12-Form und sagt aus, wie viel Vitamin B12 dem Körper tatsächlich zur Verfügung steht. Ein niedriger Holo-TC-Wert ist aber erst im Zusammenhang mit erhöhten Werten an Methylmalonsäure (MMA) und Homocystein ein Hinweis auf einen tatsächlichen Vitamin-B12-Mangel. Denn wenn in den Zellen zu wenig Vitamin B12 vorhanden ist, bildet der Körper vermehrt Methylmalonsäure. Homocystein ist ein Stoffwechselprodukt, das beim Abbau von Eiweiß entsteht.
Atemtest: Noch in Erprobung ist der von Wissenschaftlern der University of Florida entwickelte Atemtest. Er soll den Vitamin-B12-Spiegel anhand des CO2-Gehaltes der Atemluft bestimmen.
Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST Magazin 5/2015 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Spezial Vegetarisch und vegan für 2016 sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.
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