- Wir haben zehn Pizzakartons aus Papier beziehungsweise Pappe auf Bisphenol A und Bisphenol S getestet.
- Fünf Kartons haben wir bei bekannten Pizzalieferdiensten oder Pizzarestaurant-Ketten eingekauft; die anderen fünf haben wir – so wie es der Pizzabäcker um die Ecke auch täte – online oder vom Großhandel bezogen.
- Fast alle waren mit BPA und BPS belastet. Sehr oft gingen die Stoffe auch in die Pizza über.
- Bisphenole werden in Pizzakartons nicht wie bei anderen Lebensmittelkontaktmaterialien – beispielsweise Konservendosen – willentlich eingesetzt, sondern gelangen über den Altpapierstrom unabsichtlich hinein. Und auch ins Altpapier kommen Bisphenole sozusagen als Unfall, zum Beispiel über fälschlicherweise im Altpapier entsorgte Kassenzettel.
- Wir finden: Es braucht dringend Gesetze, die dafür sorgen, dass die Qualität des Papiers besser wird.
- Die Testergebnisse erhalten Sie in unserem Shop kostenlos als PDF-Datei.
Pizza to go – das gibt es schon ewig. Im 19. Jahrhundert sollen neapolitanische Pizzabäcker ihre heiße Ware in mehrlagigen Metallcontainern ausgeliefert haben. Ehrlich gesagt: Eine ähnlich kluge Transportlösung wünschten wir uns nach diesem Test zurück.
Denn Pizzakartons aus Papier sind nicht nur ein echtes Umweltärgernis und landen millionenfach im Müll. Sie können auch mit problematischen Chemikalien belastet sein, wie dieser Test zeigt. Und das nicht zu knapp.
Sind Bisphenole ein Problem in Pizzakartons?
Wir haben die Pizzaschachteln auf zwei besonders kritische Verbindungen untersuchen lassen: Auf Bisphenol A (BPA) und Bisphenol S (BPS). Beide dürfen in Verpackungsmaterialien, die für den Kontakt mit Lebensmitteln vorgesehen sind, seit dem 20. Januar 2025 nicht mehr eingesetzt werden. Nur für Papier gilt diese neue EU-Verordnung nicht – obwohl bekannt ist, dass gerade diese beiden Bisphenole in Verpackungen aus Altpapier stecken können.
Wir wollten wissen, wie groß das Problem wirklich ist und haben uns leere Pizzakartons besorgt: Fünf Stück haben wir bekannten Pizzaketten wie Domino’s oder Vapiano abgekauft, fünf bezogen wir von (Online-) Großhändlern. Und ab ging es zur Untersuchung ins Labor.
Nahezu alle Pizzakartons mit BPA und BPS belastet
Was von dort an Ergebnissen zurückkam, übertraf unsere Befürchtungen bei Weitem. Von zehn Kartons waren fast alle mit BPA und BPS belastet.
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Bisphenol A ist eine Industriechemikalie, zu der in 30 Jahren Forschung immer mehr Risiken ans Licht kamen. Die Verbindung besitzt eine hormonelle Wirkung für Mensch und Umwelt, ist als reproduktionstoxisch eingestuft und wird unter anderem in Zusammenhang gebracht mit einem erhöhtem Brustkrebsrisiko, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern.
Nach einer Einschätzung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) von 2023 soll BPA bereits in sehr geringen Mengen das Immunsystem beeinträchtigen.
- Bisphenol S ist weniger gut erforscht als Bisphenol A, inzwischen jedoch ebenfalls als reproduktionstoxisch eingestuft. Die EU-Chemikalienverordnung REACH zählt beide Verbindungen zu den "besonders besorgniserregenden Stoffen" (SVHC).
Simulation zeigt: Bisphenole wandern in die Pizza
Die Kartons haben es also in sich, so viel steht fest. Was uns nun aber brennend interessierte: Gehen diese Chemikalien auch in die Pizza über oder bleiben sie im Karton? Von trockenen Lebensmitteln beispielsweise weiß man, dass sie nicht sonderlich gefährdet sind, Risikochemikalien aus Papierverpackungen aufzunehmen – aber eine saftige, fettende Pizza stellt für die Verpackung eine andere Herausforderung dar. Wobei Hersteller die Möglichkeit haben, eine Barriere in Form eines Coatings oder einer Frischfaser-Innenschicht einzubauen.
Wir gaben also eine Analyse in Auftrag, die speziell dafür entwickelt wurde, den Kontakt einer Pizza mit ihrem Karton zu simulieren. Das Ergebnis war zwar etwas erfreulicher, taugt als Entwarnung allerdings kaum.
Von den getesteten Kartons, bei denen der Nachweis von BPA positiv war, konnte das Labor in vier Fällen einen Übergang der Chemikalie auf die Pizza feststellen. Ein Übergang von BPS in die Pizza erfolgte im Labor in allen betroffenen Fällen.
Die mit Abstand größte Menge an BPA, die im Test an die simulierte Pizza abgegeben wurde, überschreitet die laut EFSA noch als unbedenklich geltende BPA-Tagesdosis (TDI) um rund 45.000 Prozent – angenommen, eine 60 Kilogramm schwere Person äße daraus eine komplette Pizza.
Die Diskussion um das maximal tolerierbare Tageslimit
Nun muss man wissen: Die EFSA hatte das maximal tolerierbare Tageslimit für BPA, den so genannten TDI, im Jahr 2023 drastisch abgesenkt und damit die neuesten Studien zur immunologischen Wirkung der Chemikalie berücksichtigt. Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) – deutsches Pendant zur EFSA – schätzt die Gefährlichkeit von BPA geringer ein und lancierte einen 1000-fach niedrigeren TDI. Aber auch da käme unser Spitzenreiter noch lässig drüber.
Und noch lässiger, was BPS angeht: Für Bisphenol S existiert noch kein offizieller TDI, weil die Forschung dazu noch sehr viel jünger ist und es entsprechend weniger Daten gibt. Da jedoch bisherige Studien auf ähnliche Wirkmechanismen hindeuten, empfiehlt das BfR, die tägliche Maximaldosis von BPA auch für BPS anzuwenden.
Hier wird beim Spitzenreiter selbst der laxere TDI des BfR zu rund 250 Prozent ausgeschöpft, der TDI der EFSA sogar zu, Achtung: 250.000 Prozent.
Es braucht eine Regulierung für Papier
Das eingangs erwähnte Verwendungsverbot für BPA, BPS und andere Bisphenole begrüßen wir ausdrücklich. Die Bisphenol-Gehalte in unseren Pizzakartons liegen allerdings Lichtjahre von den dort festgelegten Höchstgehalten entfernt. Noch mehr würden wir es deshalb begrüßen, wenn es auch eine aktuelle Regulierung für Papier gäbe.
Ein regulatorischer Anhaltspunkt ist zwar die BfR-Empfehlung XXXVI für Kontaminanten in Papier mit Lebensmittelkontakt. Auch den darin festgelegten Richtwert für eine maximale Migration von BPA oder BPS ins Lebensmittel toppt unser Spitzenreiter aber.
In unseren Augen hinkt dieser Richtwert den neuesten toxikologischen Erkenntnissen hinterher: Selbst wenn ein Pizzakarton den Richtwert für BPA und BPS gerade so einhielte, läge der Gehalt dennoch über der vom BfR vorgeschlagenen Tagesdosis.
Wie kommen die Bisphenole in den Pizzakarton?
Sie werden nämlich nicht wie bei anderen Lebensmittelkontaktmaterialien – beispielsweise Konservendosen – willentlich eingesetzt, sondern gelangen über den Altpapierstrom unabsichtlich hinein. Und auch ins Altpapier kommen Bisphenole sozusagen als Unfall: Nämlich über fälschlicherweise dort entsorgte Kassenbons, Parktickets oder Eintrittskarten – sogenanntes Thermopapier, bei dem Bisphenole als Farbentwickler eingesetzt werden.
Seit 2020 gibt es ein Verbot von BPA für Thermopapier, und seither sinken die Gehalte der Substanz im Altpapierkreislauf stetig. Doch nun ersetzen einige Hersteller BPA in ihrem Thermopapier durch BPS, wie eine Untersuchung der TU Dresden zeigt. Schließlich ist BPS ja noch erlaubt.
Das würde erklären, warum die von uns gefundenen BPS-Totalgehalte in Pizzakartons deutlich höher waren und teilweise auch, warum BPS häufiger in der simulierten Pizza gefunden wurde.
Hier besteht eine Lücke im Verbraucherschutz
Warum aber gibt es dann auch Pizzakartons in diesem Test, die nicht mit Bisphenolen belastet sind? Weil die Hersteller Frischfasern für ihre Kartons einsetzen, wie sie uns schreiben. Finden wir das gut? Tja, geht so. Gut fänden wir, wenn BPA in Thermopapier schon viel früher verboten worden wäre und BPS spätestens jetzt. Dann hätten wir wenigstens in zehn Jahren die Chance auf sauberes Altpapier.
Um eines klarzustellen: Wir sind FÜR Altpapier. Wir sind dafür, dass Lebensmittelverpackungen aus wertvollen Papierfasern in einem Kreislauf geführt werden – nicht zuletzt bei Einwegverpackungen wie Pizzaschachteln, die schon wegen ihrer Größe immens viele Ressourcen verbrauchen. Aber wir sind eben nicht nur Team Altpapier, sondern auch Team Verbraucher.
Und an dieser Stelle sehen wir eine Lücke im Verbraucherschutz. Die EU-Kommission scheint das immerhin erkannt zu haben und diskutiert derzeit nach eigenem Bekunden eine Monitoring-Empfehlung, um mehr Informationen über den unbeabsichtigten Eintrag von Bisphenolen aus Recyclingpapier in Lebensmittel zu erhalten. Wir stellen unseren Test gerne zur Verfügung.
Einstweilen empfehlen wir die moderne Form dessen, was schon neapolitanische Pizzabäcker nutzten: Mehrweg-Pizzaboxen aus Kunststoff, die es im Internet für ein paar Euro zu bestellen gibt. Die lösen auch gleich das Papiermüllproblem.
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