Krebsgefahr Talkum: Wo kommt der Stoff vor und wann wird er verboten?

Magazin Februar 2025: Vollkornbrot | Autor: Marieke Mariani | Kategorie: Gesundheit und Medikamente | 02.02.2025

Talkum ist allgegenwärtig.
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Talkum ist allgegenwärtig und macht seit vielen Jahren Schlagzeilen: In Babypuder soll es für Lungenschäden bei Kindern sorgen, verunreinigt mit Asbest soll es für Krebserkrankungen verantwortlich sein. Neu ist: Auch ganz ohne Verunreinigungen gibt es offenbar eine Krebsgefahr. Wann kommt das Verbot?

Es ist bereits die zweite Substanz binnen weniger Jahre, die sich vom Alleskönner zum Problemstoff wandelt. Nach Titandioxid trifft es nun Talkum, mit dem vermutlich die meisten Menschen in ihrem Leben schon irgendwo Kontakt hatten. 

Wo kommt Talkum überall vor? 

In der Lebensmittel- und der Kosmetikindustrie wird Talkum als Trennmittel, Rieselhilfe, Füllstoff oder Pudergrundlage eingesetzt. Ähnliche Eigenschaften bietet es auch in der Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln, wo es als pharmazeutischer Hilfsstoff für Puder und Schüttelmixturen und bei der Herstellung von Filmtabletten verwendet wird.

Es ist Bestandteil des weißen Pulvers, das beim Turnen und Klettern den Schweiß bindet, oder, zumindest früher noch, als Speckstein im Kunstunterricht. Auch zur Herstellung von Papier, Zellstoff und Kunststoff wird Talkum eingesetzt.

Hinter folgenden Bezeichnungen versteckt sich Talkum: 

  • Steatit
  • Speckstein
  • Magnesiumsilikathydrat
  • Talkum
  • E 553b (Lebensmittelzusatzstoff)
  • C.I. Pigment White 26
  • Talc (Kosmetikinhaltsstoff)

Talkum ist wahrscheinlich krebserregend 

Talkum ist allgegenwärtig – und wahrscheinlich krebserregend für den Menschen. Zu diesem Schluss kam zumindest die unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angesiedelte Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) in ihrer Neubewertung im vergangenen Jahr. Auch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat bereits Bedenken angemeldet. Eine finale Einstufung auf EU-Ebene liegt allerdings noch nicht vor.

Talkum kann mit Asbest verunreinigt sein  

Dabei steht Talkum nicht erst seit gestern in der Kritik. Das Mineral Talk, also die Gesteinsbasis des Talkumpuders, ist ein sogenanntes Schichtsilikat. Mehr als die Hälfte des gehandelten Talkgesteins stammt aus Indien und China, auch in Nord- und Südamerika werden große Mengen abgebaut. Stand 2022 wurden dem World Mining Data- Report 2024 zufolge weltweit 7,8 Mio. Tonnen Talk gewonnen.

Allerdings ist in den Mineralvorkommen häufig auch Asbest enthalten und gelangt so als Verunreinigung ins Talkumpulver. Bereits 2009 stufte die IARC asbesthaltigen Talk als krebserregend für den Menschen (Kategorie 1) ein. Rohstoffhändler und -verarbeiter mussten ihre Prozesse anpassen, um Verunreinigungen mit Asbest auszuschließen.

Johnson & Johnson in der Kritik 

Mithilfe von Zertifikaten ließen sich weiterverarbeitende Betriebe fortan die Asbestfreiheit des eingesetzten Talkumpuders bestätigen. In diesem Zusammenhang geriet Johnson & Johnson (J&J), der wohl bekannteste Hersteller von Babypuder, in die Schlagzeilen. Dass Talkum Asbest enthalten kann, war den Verantwortlichen des Unternehmens nämlich offenbar schon wesentlich länger bekannt.

Eine Investigativrecherche der Nachrichtenagentur Reuters brachte 2018 ans Licht, dass interne Laboruntersuchungen bereits 1957 erste Hinweise auf asbestverseuchtes Talkumpuder lieferten, weitere Nachweise folgten zwischen 1972 und 1975. Doch J&J hielt die Informationen geheim.

Selbst als die US-amerikanische Lebensmittelsicherheitsbehörde FDA Mitte der 70er-Jahre Grenzwerte für Asbest in talkumhaltigen Kosmetikprodukten abwog, legte das Unternehmen dem Reuters-Bericht zufolge die Funde nicht offen. Stattdessen behauptete man immer wieder, das Talkumpuder sei sicher.

Eierstockkrebs durch Babypuder?

Ebenfalls 2018 urteilte ein US-Gericht zugunsten von 22 Frauen, die Johnson & Johnson für ihre Krebserkrankungen verantwortlich machten. Konkret ging es um den Verdacht, dass die langjährige Anwendung von Babypuder im Genitalbereich der Frauen Eierstockkrebs verursacht haben soll. Johnson & Johnson musste eine Strafe von knapp 4,7 Milliarden US-Dollar zahlen.

2019 rief das Unternehmen in den USA eine Produktionscharge seines Babypuders zurück, da eine Probe in einer FDA-Analyse mit Asbest verunreinigt war – eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie J&J damals mitteilte. Es folgten eine Reihe weiterer Gerichtsverfahren und hoher Geldstrafen in den USA, die Zahl der Klagenden liegt Medienberichten zufolge mittlerweile bei mehr als 60.000.

Zuletzt verurteilte ein Geschworenengericht in Portland den Konzern im Juni 2024 zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 60 Millionen Dollar und einer Strafzahlung von 200 Millionen Dollar. Bei der Klägerin war im Alter von 48 Jahren ein Mesotheliom diagnostiziert worden. Dabei handelt es sich um eine fast immer tödlich verlaufende Krebserkrankung des Gewebes, in diesem Fall um das Herz der betroffenen Frau. Auch sie gab an, fast 30 Jahre lang Babypuder und Deodorant von J&J verwendet zu haben.

Lungenschäden bei Babys möglich

Mindestens erstaunlich ist es da zumindest aus Verbrauchersicht, dass Johnson & Johnson erst im Jahr 2023 seine Babypuder-Produktion weltweit final von Talkum auf Maisstärke umstellte. Auch deshalb, weil talkumhaltiges Babypuder für seine eigentliche Zielgruppe schon länger als risikobehaftet gilt: Bereits 2011 warnte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor Atembeeinträchtigungen bis hin zu schweren Lungenschäden, wenn ein Baby oder Kleinkind versehentlich das Puder einatmet.

"Eine typische Unfallsituation besteht, wenn das Kind zum Wickeln auf dem Rücken liegt, sich die Puderdose unbeabsichtigt über ihm öffnet und der Puder herausrieselt", beschrieb BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. Um zukünftig solche Unfälle zu vermeiden, sollten die Puderdosen entweder auf sichere Verschlusssysteme umgestellt oder talkumhaltiges Babypuder verboten werden, forderte das BfR. Von einem Krebsverdacht war in der Begründung jedoch keine Rede.

In Babypuder soll Talkum für Lungenschäden bei Kindern sorgen, verunreinigt mit Asbest soll er für Krebserkrankungen verantwortlich sein.
In Babypuder soll Talkum für Lungenschäden bei Kindern sorgen, verunreinigt mit Asbest soll er für Krebserkrankungen verantwortlich sein. (Foto: Onlyshaynestockphoto/Shutterstock )

Nun verdichten sich die Hinweise, dass Talk sogar unabhängig von Asbest-Verunreinigungen ein Krebsrisiko darstellt. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hat asbestfreies Talkum im Jahr 2024 als "wahrscheinlich krebserregend für Menschen" (Gruppe 2A) eingestuft. Zudem hat der Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) aktuell vorgeschlagen, Talkum als CMR-Stoff der Kategorie 1B ("wahrscheinlich krebserregend beim Menschen") einzustufen.

Auch aus Sicht der ECHA gebe es genug Hinweise, dass Talkum bei verschiedenen Tierarten Krebs auslösen kann, sowie nach dem Einsatz in Puderform im Intimbereich für die Entstehung von Eierstockkrebs beim Menschen verantwortlich ist. Dabei sei ein analoger Wirkmechanismus für Lungenkrebs bei Ratten und Eierstockkrebs bei Frauen biologisch plausibel. Die europäischen Behörden werden voraussichtlich Ende 2025 über die Neueinordnung von Talkum als krebserregenden Gefahrstoff abstimmen.

Verbot von Talkum in Kosmetik könnte folgen

Sollte Talkum tatsächlich als krebserregend der Kategorie 1B eingestuft werden, hätte dies weitreichende Folgen. In Kosmetikprodukten, in denen die Substanz unter der Bezeichnung "Talc" zu finden ist, dürfte Talkum der in der EU geltenden Kosmetikverordnung entsprechend nicht mehr verwendet werden.

Zwar haben einige Hersteller in losen Pudern bereits auf Ersatzstoffe wie Maisstärke umgestellt, doch in dekorativen Kosmetika wie Kompaktpudern, Blush, aber auch in anderen Produkten setzt es die Industrie nach wie vor ein. Der deutsche Industrieverband Körperpflege und Waschmittel (IKW) zeigte sich auf unsere Nachfrage hin abwartend und verweist darauf, dass bisher noch keine finale Einstufung vorliege, die ein Verbot rechtfertige.

"Sollte dieses Verbot kommen, wären Ausnahmen zu prüfen", die unter bestimmten Voraussetzungen möglich seien, so Birgit Huber, stellvertretende Geschäftsführerin des IKW. "Sollte es keine Ausnahmeregelung geben, wird die Verwendung von Talkum in kosmetischen Produkten aufgrund der [...] formellen Verknüpfung von Kosmetikrecht und Chemikalienrecht voraussichtlich ab Ende 2027 verboten sein." Spätestens dann müssten Kosmetikrezepturen umgestellt werden.

(Foto: ÖKO-TEST)

Folgen in anderen Bereichen unklar

In anderen Einsatzbereichen sind zum aktuellen Zeitpunkt noch viele Fragen offen. Die Einstufung der IARC beschreibt nur das grundsätzliche Potenzial eines Stoffes, Krebs zu verursachen. Die meisten Beweise dafür stammten aus der Anwendung auf der Haut, im Dammbereich und durch das Einatmen von Talkum, heißt es von der Agentur. Die orale Aufnahme spielte keine Rolle.

Ob und welche Einstufung auf EU-Ebene erfolgt, ist noch unklar. Für Lebensmittel greift kein automatisches Verbot wie in der Kosmetikgesetzgebung – Zusatzstoffe können jedoch ihre Zulassung verlieren, wenn neue Erkenntnisse dies erforderlich machen. Ob ein Stoff für die Lebensmittelherstellung sicher ist, bewertet die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Obwohl sie bereits 2021 von der EU-Kommission um eine Neubewertung gebeten wurde, konnte die EFSA die Langzeitwirkungen von E 553b bislang aufgrund einer unzureichenden Datenlage nicht abschließend beurteilen, teilte man uns mit. In ihrer wissenschaftlichen Bewertung im Jahr 2018 kam sie allerdings zu dem Schluss, dass die Aufnahme oral zugeführten Talkums sehr gering sei.

ÖKO-TEST rät: Talkumhaltige Produkte vorsichtshalber meiden

Deutsche Behörden sind bislang eher zurückhaltend. Das BfR teilte uns mit, "die internationale Diskussion hinsichtlich der Gefahrenbewertung von asbestfreiem Talkum und der daraus resultierenden gesundheitlichen Bedenken durch die Exposition gegenüber Talkum sehr intensiv" zu verfolgen, sich aber erst zu dem Thema positionieren zu wollen, wenn die Abschlussberichte des IARC und der ECHA zur Einstufung des Gefahrenpotenzials vorlägen und geprüft wurden.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verweist auf die Europäische Arzneimittel- Agentur (EMA), die alle potenziellen Risiken im Zusammenhang mit Talkum in Arzneimitteln überwache und mögliche Auswirkungen auf die Entwicklung sicherer Arzneimittel kommunizieren werde. Das ist bisher nicht geschehen.

ÖKO-TEST rät inzwischen aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes, talkumhaltige Produkte vorsichtshalber zu meiden. In vielen Bereichen ist das möglich, weil bereits Ersatzstoffe wie Maisstärke verwendet werden. Und auch unter den Nahrungsergänzungsmitteln gibt es etliche Produkte, die ohne Talkum auskommen. Wie bei Titandioxid gilt aber auch hier: Niemand sollte wichtige Arzneimittel absetzen, weil sie den Hilfsstoff Talkum enthalten. Hier sollten Sie sich grundsätzlich vor einer Entscheidung ärztlich beraten lassen.

Talkum kritisieren wir aktuell in folgenden Tests: 

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