Aus medizinischer Sicht ist ein Kaiserschnitt in höchstens zehn Prozent der Fälle notwendig, urteilt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Warum aber kommt dann in Deutschland fast ein Drittel aller Kinder auf diesem Weg zur Welt?
Susanne Steppat, Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband (DHV), sieht vor allem strukturelle Gründe für die Entwicklung: "In den Kreißsälen ist oft zu wenig Personal, um sich gut um jede Frau kümmern zu können. Mittlerweile gibt es aber auch zu wenig Wissen über die unterschiedlichen Verläufe einer normalen Geburt. Heute wird häufig schon bei der kleinsten Abweichung eingegriffen." Der Hebammenverband bemängelt, dass gültige Standards fehlen, wann ein Kaiserschnitt geboten ist.
Der Kaiserschnitt als Routineeingriff
Dass dieser im Notfall das Leben von Mutter und Kind retten kann, steht für den Verband völlig außer Frage. Manchmal sind die Risiken einer natürlichen vaginalen Geburt für Mutter oder Kind einfach zu groß - zum Beispiel, wenn die Plazenta ganz oder teilweise vor dem Muttermund liegt oder sich vorzeitig löst, wenn eine schwere Gestose oder eine Infektion im Genitalbereich vorliegt oder wenn die Geburt lange nicht vorangeht, sich die kindlichen Herztöne verschlechtern oder das Ungeborene unter Sauerstoffmangel leidet.
Doch aus der Option für den Notfall ist in Entbindungskliniken längst ein Routineeingriff geworden. Und der ist in den meisten Fällen geplant. Nicht nur, weil sich heute Komplikationen, wie eine Querlage des Kindes oder ein zu enges Becken der Mutter, frühzeitig feststellen lassen. Viele Schwangere sehen die Schnittentbindung auch als gute Alternative zur natürlichen Geburt.
Kaiserschnitt ist erheblicher Eingriff in Bauchraum
Eine Vollnarkose ist bei einer Sectio, so der medizinische Fachbegriff für Kaiserschnitt, heute nur noch in Notfällen üblich. Bei einer geplanten Schnittentbindung erhalten die Frauen in der Regel eine Periduralanästhesie (PDA) oder Spinalanästhesie (SPA).
Bei diesen Teilnarkosen ist die Frau während der Geburt wach und erholt sich nach der Operation schneller. Die Misgav-Ladach-Methode – benannt nach dem Jerusalemer Krankenhaus, an dem dieser Kaiserschnitt erstmals praktiziert wurde – macht zudem nur noch einen kleinen Schnitt nötig. Statt Muskeln und Fettschichten zu durchschneiden, dehnt der Arzt sie mit den Händen.
Vorteil: Die Operationszeit verkürzt sich, und die Patientinnen sind schneller wieder fit. Auch wenn diese Methode "sanfter Kaiserschnitt" genannt wird, darf man sich nichts vormachen: Die Sectio ist und bleibt ein erheblicher Eingriff in den Bauchraum, bei dem viele Nerven durchtrennt werden und der nicht ohne wichtigen Grund durchgeführt werden sollte.
Kaiserschnitt ist keine leichtere Geburt
Wer sich trotzdem dafür entscheidet, sollte wissen: Der Kaiserschnitt ist nicht die "leichtere" Geburt. Während die meisten Mütter den Wehenschmerz vergessen, sobald sie ihr Kind im Arm halten, plagen sich Frauen nach einem Kaiserschnitt noch tagelang mit Beschwerden und sind oft nicht in der Lage, ihr Kind gleich zu versorgen. Allein den Winzling hochzuheben, bereitet große Schmerzen am Bauchschnitt.
Der Stillbeginn ist in der Regel mühevoller, weil die Mutter das Kind kaum allein heben und halten kann. Auch die Neugeborenen sind in den ersten Tagen weniger fit. Viele haben Atemprobleme, denn bei der natürlichen Geburt werden Hormone gebildet, die unter anderem die Entfaltung der Lungen fördern.
Auch später noch sind Kaiserschnittkinder anfälliger. Studien zufolge entwickeln sie häufiger Allergien und Asthma als Kinder, die auf natürlichem Wege geboren wurden. Möglicherweise haben Wissenschaftler inzwischen die Erklärung dafür gefunden. Kommen Babys durch eine vaginale Entbindung zur Welt, finden sich auf ihrer Haut Bakterien, unter anderem Milchsäurebakterien, mit denen auch die Haut der Mutter besiedelt ist. Diese Bakterien schützen die Babys vor schädlichen Erregern. Bei Kaiserschnittkindern funktioniert dieser Mechanismus aber nicht.
Narbe kann Probleme machen
Wer nach einem Kaiserschnitt wieder schwanger werden will, kann Probleme bekommen. So kann die Narbe am Uterus reißen oder der Mutterkuchen in die Gebärmutternarbe hineinwachsen. Diese Komplikationen betreffen eine bis zehn von 1.000 Frauen mit Kaiserschnitt. Nach einem Kaiserschnitt ist der Weg zu einer natürlichen Geburt allerdings nicht verbaut. Nur unter bestimmten Voraussetzungen muss die Sectio beim zweiten Kind wiederholt werden.
Doch allen Statistiken zum Trotz: Die meisten Mütter wünschen sich, ihr Kind auf natürliche Weise zur Welt zu bringen und sind im Nachhinein bisweilen tief verunsichert, wenn der rettende Schnitt unter Umständen doch nötig geworden ist. Besorgte Eltern fragen sich dann, ob der künstliche Eingriff Spuren bei ihrem Kind hinterlassen hat. Mit Gewissheit wird man die Frage, ob und wie ein Kaiserschnitt den kindlichen Charakter beeinflusst, nicht beantworten können. Dafür spielen einfach zu viele Faktoren bei der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen eine Rolle.
Kaiserschnitt und die psychischen Folgen
Viel entscheidender dürfte sein, wie die Mutter – unabhängig von der Art der Entbindung – die Geburt erlebt und verarbeitet. Ist die Mutter gestresst, überträgt sich dies auch auf das Kind. Darum ist es so wichtig, Mütter unmittelbar nach schwierigen Geburten, aber auch später noch, seelisch zu stärken, statt sie zu verunsichern.
Immer wieder beobachten Geburtshelfer und Psychologen, dass Mütter, die eine natürliche Entbindung geplant hatten, ihren Kaiserschnitt als Scheitern erleben und daraus ein Minderwertigkeitsgefühl entwickeln. Es gilt, die Mütter dabei zu unterstützten, ihre Kaiserschnittgeburt als das zu akzeptieren, was sie ist: notwendig und rettend.
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