Mehrwegpflicht: Wie gut sind Kaffeebecher to go? – Sieben Becher im Test

Magazin November 2024: Weizenmehl | Autor: Lisa-Marie Karl/Heike Baier/Rebecca Welsch | Kategorie: Essen und Trinken | 21.11.2024

Mehrwegbecher im Test: Wir haben Recup und weitere analysiert.
Foto: ÖKO-TEST

Noch schnell ein Kaffee "to go" auf die Hand? Super einfach, die typischen Einweg-Pappbecher produzieren aber unnötigen Müll. Mehrwegcups, die man zurückgeben kann, bieten eine nachhaltige Alternative. Doch wie gut sind die Pfandsystem-Becher wirklich? Wir haben sieben Anbieter unter die Lupe genommen. 

  • Im Test: Sieben Mehrweg-Kaffeebecher mit Deckel. 
  • Mehrwegpflicht: Seit Januar 2023 müssen Betriebe ab einer bestimmten Größe, die Speisen oder Getränke in Einwegverpackungen oder Bechern verkaufen, eine Mehrwegalternative anbieten. Das betrifft Einwegbehälter aus Kunststoff.
  • Vier überprüfte Mehrwegbecher schneiden mit Bestnote ab. 
  • Kritisch: Das von uns beauftragte Labor ist auf die Massenchemikalie Bisphenol A (BPA) gestoßen und Sensorikexperten bemängeln teils einen unerwünschten Nebengeschmack. 

Seit 2023 ist es Pflicht: Gastronomiebetriebe einer bestimmten Größe müssen für Essen und Trinken zum Mitnehmen Mehrwegbehälter bereitstellen. Endlich unternimmt der Gesetzgeber etwas gegen die Flut von To-go-Verpackungen; denn stündlich werden laut Bundesumweltministerium in Deutschland allein etwa 320.000 Einweg-Becher für Heißgetränke verbraucht. Stündlich!

In vielen Tankstellen, Supermärkten oder Kantinen stehen deshalb jetzt Mehrwegbecher als ökologische Alternative bereit – mal besser, mal schlechter sichtbar. Wir wollten wissen, was die To-go-Becher taugen. 

Mehrwegbecher im Test: Wie gut sind Recup und Co.?

Um das festzustellen, haben wir sieben verschiedene Mehrwegbecher im Labor darauf testen lassen, ob sie bedenkliche Chemikalien abgeben und geschmacksneutral sind. Das Ergebnis: Vier Cups überzeugten uns rundum und schneiden mit "sehr gut" ab.

Labor weist Massenchemikalie BPA nach 

Doch nicht alle Mehrwegbecher überzeugen im Test. So ist das von uns beauftragte Labor auf Bisphenol A (BPA) gestoßen. Die Industriechemikalie ist hochumstritten: Sie kann unser Hormonsystem beeinflussen und ist in der EU als "wahrscheinlich reproduktionstoxisch beim Menschen" eingestuft.

Zudem sieht die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in ihrer neuesten Einschätzung Hinweise, dass BPA bereits in winzigen Mengen Auswirkungen auf unser Immunsystem haben könnte. Der betroffene Hersteller kann sich unseren BPA-Befund im Becher nicht erklären und legte ein negatives Gegengutachten vor.

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BPA geht im Test ins Heißgetränk über 

Bedenklich: die Chemikalie wandert in kritischen Mengen vom Kunststoff ins Heißgetränk. Um das zu überprüfen, haben wir einen Migrationstest in Auftrag gegeben. Drei Mal hintereinander befüllte das Labor den Becher dabei mit Kaffee-Simulanz und ermittelte danach dessen BPA-Gehalt.

Selbst im zweiten und dritten Migrat überschritt der gemessene BPA-Gehalt die laut EFSA noch als unbedenklich geltende Tagesdosis (TDI) um mehr als das 30-Fache, im ersten Migrat sogar um mehr als das 70-Fache.

Mehrweg mit unerwünschtem Nebengeschmack 

Weitere Kritik im Test betrifft die Sensorik: Wer seinen To-go-Kaffee aus einem Mehrwegbecher trinkt, erwartet zu Recht, dass sich dessen Kunststoff geschmacksneutral verhält. Das ist schließlich ein Vorteil gegenüber Einwegbechern, in denen Getränke häufig nach Pappe schmecken.

Im Test zeigt sich jedoch, dass zwei Becher einen Nebengeschmack haben. So schmeckte das abgefüllte Wasser in einem Becher leicht "ranzig, süß, fruchtig, säuerlich und papierartig", in einem anderen hatte es eine "röstige, muffige, papierartige und holzige" Fehlnote leichter Ausprägung. Wir meinen: Wenn Mehrweg vorankommen soll, dann bitte ohne Nebengeschmack.

Wer Müll vermeiden möchte, leiht sich einen Mehrwegbecher im Café.
Wer Müll vermeiden möchte, leiht sich einen Mehrwegbecher im Café. (Foto: Igisheva Maria/Shutterstock)

Wie funktioniert das Mehrwegcup-Pfandsystem?

Ein To-go-Becher, wie man ihn beim Bäcker oder an der Raststätte ausleihen kann, ist nicht einfach nur ein Kunststoff-Becher. Hinter ihm steht ein ganzes Mehrweg-System: Ein Dienstleister, der sich um die Herstellung kümmert, die Ausgabestellen beliefert, die Anreize für eine Rückgabe setzt und gegebenenfalls auch das Recycling der Becher organisiert.

Wir haben die Anbieter um Auskunft zu diesen wichtigen Eckpunkten ihrer Systeme gebeten und führen die Antworten als Service in der Testtabelle im ePaper auf. In unsere Benotung fließen sie jedoch nicht ein.

Wann haben Mehrwegcups einen ökologischen Vorteil?

Der Grund, warum wir die Pfandsysteme nicht benoten: Viele wichtige Zahlen sind entweder nicht zu belegen oder schlecht zu vergleichen. Etwa die Umlaufzahl eines Bechers, die für seine Öko-Bilanz von besonderer Bedeutung ist: Einen ökologischen Vorteil haben Mehrwegbecher gegenüber Einweg nämlich erst ab etwa 15 Umläufen, so berechnet das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (Ifeu).

Nur vier Anbieter in unserem Test können die Umlaufzahl ihrer Becher jedoch überhaupt erfassen – zum Beispiel, weil sie diese bei der Rückgabe scannen. Einige Systeme verzichten auf digitale Features: So setzt Recup bewusst "auf niedrige Hürden bei der Entscheidung zu Mehrweg" und betreibt ein analoges System, bei dem ein Becher gegen 1 Euro Pfand an allen Ausgabestellen mitgenommen und wieder abgegeben werden kann.

Mehrweg-Kaffeebecher noch immer mit Problemen

Die Realität zeigt leider ohnehin, dass viele Mehrwegbecher ein Mauerblümchen-Dasein fristen. Ein Anbieter schreibt uns, dass er sich für die Etablierung von Mehrwegsystemen stärkere finanzielle Anreize wünscht. 

Ein Anreiz wäre beispielsweise ein Aufpreis für Einweg: "Es ist superschwer, Kunden nachhaltig zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, wenn sie nicht dauerhaft einen Vorteil von Mehrweg haben." 

Weiterlesen auf oekotest.de: 

Wir haben diese Produkte für Sie getestet

Testverfahren

Sieben Mehrweg­-Kaffeebecher mit Deckel mit einem Volumen von 300 ml und im Neuzustand haben wir frei in den Lagern der Anbieter ausgesucht und in verschiedenen Laboren untersuchen lassen: Gesamtmigration, Bisphenol A (BPA), Phthalate und Ersatzweichmacher, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), primäre aromatische Amine, Elemente und PVC/PVDC/chlorierte Verbindungen.

Alle Analysen waren unauffällig – bis auf einen positiven BPA-­Befund. Ob hier BPA ins Getränk übergeht, wurde mittels Migration mit einer Simulanzflüssigkeit überprüft. Beeinflussen die Becher Geruch und Geschmack des Inhalts nachteilig? Dazu erfolgte eine sensorische Prüfung mit Wasser. Schließlich erfassten wir ausgewählte Auslobungen wie "BPA-­frei".

Bewertungslegende

Soweit nicht abweichend angegeben, handelt es sich bei den hier genannten Abwertungsgrenzen nicht um gesetzliche Grenzwerte, sondern um solche, die von ÖKO-TEST festgesetzt wurden. Die Abwertungsgrenzen wurden von ÖKO-TEST eingedenk der sich aus spezifischen Untersuchungen ergebenden Messunsicherheiten und methodenimmanenter Varianzen festgelegt. Die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) ist ein Schätzwert, wie viel von einem Stoff lebenslang pro Tag ohne gesundheitliche Folgen aufgenommen werden kann.

Bewertung Testergebnis Inhaltsstoffe: Unter dem Testergebnis Inhaltsstoffe führt zur Abwertung um zwei Noten: ein gemessener Bisphenol-A-Gehalt im dritten Migrat, der den TDI der EFSA von 0,2 ng/kg Körpergewicht überschreitet (in Tabelle: "BPA stark erhöht"). Zugrunde gelegt haben wir ein Körpergewicht von 60 Kilogramm und eine tägliche Portion von einem Becher mit 250 ml bzw. 250 g Kaffee.

Bewertung Testergebnis Sensorik: Unter dem Testergebnis Sensorik führt zur Abwertung um zwei Noten: eine oder mehrere leichte Auffälligkeiten im Geschmack.

Bewertung Testergebnis Weitere Mängel: Unter dem Testergebnis Weitere Mängel führt zur Abwertung um zwei Noten: Bisphenol A in einem Produkt, welches zum Zeitpunkt der Probennahme als "BPA-frei" beworben wurde.

Das Gesamturteil beruht auf dem Testergebnis Inhaltsstoffe. Testergebnisse Sensorik und Weitere Mängel, die "befriedigend" sind, verschlechtern das Gesamturteil um jeweils eine Note. 

Testmethoden

Globalmigration mit den Simulanzmitteln B und D1: nach DIN EN 1186-3:2022-10; inkl. Stabilitätsprüfung. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK): gemäß AfPS GS 2019:01 PAK, GS-Spezifikation 2019-0; Ultraschallextraktion mit Toluol, Messung mittels GC-MS. Primäre aromatische Amine: nach § 64 LFGB B 82.02-2, DIN EN ISO 14362-1:2017-05. Bisphenol A Gesamtgehalt: Extraktion mit organischem Lösungsmittel, Messung mittels LC-QQQ. Spezifische Migration Bisphenol A: nach DIN CEN/TS 13130-13:2005-05; Messung mittels LC-MS. Bisphenol A nach Migration: mit Simulanzmittel D1 für 2 Stunden bei 70°C; der Becher wurde bis 1 cm unterhalb des Randes befüllt, der Deckel aufgesetzt und nach Migration das Simulanz durch die Deckelöffnung ausgegossen und zur Messung eingesetzt; Messung mittels LC-MS/MS. Phthalate: nach DIN EN ISO 14389:2023-01, mod.; Die Modifikation betrifft die Verwendung eines weiteren internen Standards, die zusätzliche Validierung von fünf Substanzen und die Bestätigungsmessung mittels LC-MS; Extraktion mit THF/ACN, Messung mittels GC-MS und/oder LC-MS. Spezifische Migration 9,9-Bis(methoxymethyl)fluoren: Messung mittels GC-MS. PVC/PVDC/chlorierte Verbindungen in der Verpackung und Elemente: Röntgenfluoreszenzanalyse. Sensorische Prüfung: gesamter Artikel – Becher und Deckel; Geruch- und Geschmackssübergang durch direkte Berührung, nach DIN 10955:2024-01. Bewertung 0 = keine wahrnehmbare Abweichung, 1 = kaum wahrnehmbare Abweichung, 2 = schwache Abweichung, 3 = deutliche Abweichung, 4 = starke Abweichung.

Einkauf der Testprodukte: Mai – Juni 2024.

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