Immer wieder sind Lebensmittel, die wir testen, mit Pestiziden belastet, die in der EU im Anbau verboten sind, weil sie entweder für uns oder die Umwelt zu schädlich sind. Aktuell sind es im Test Rosinen gleich mehrere verschiedene. In anderen Ländern eingesetzt, gelangen sie beim Import von Produkten unter Umständen wieder auf den europäischen Markt, und das ganz legal.
Die Doppelmoral dabei: Die verbotenen Pestizide oder ihre Wirkstoffe stammen oft von europäischen Chemiekonzernen. Denn die dürfen die Pestizide, die bei uns nicht gespritzt werden dürfen, trotzdem bei uns produzieren und in andere Länder verkaufen.
Nicht nur wir, auch etliche Organisationen kritisieren diese Doppelstandards beim Pestizid-Export schon lange. Wenn Pestizide zu gefährlich für den Anbau in der EU sind, dann sollten ihnen auch Menschen und Umwelt in Nicht-EU-Ländern nicht ausgesetzt werden.
Verbot im Koalitionsvertrag vereinbart
Im Koalitionsvertrag hatte auch die deutsche Bundesregierung 2021 eigentlich vereinbart, den Export von bestimmten Pestiziden aus Deutschland zu verbieten. Dabei ging es um Stoffe, die in der EU "aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit" nicht zugelassen sind. 2022 erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, das Exportverbot werde vorbereitet. So weit, so gut.
Kritik an dem Entwurf
Im vergangenen Jahr gelangte dann ein Referentenentwurf an die Öffentlichkeit, der Kritikern nicht weit genug ging. "Der Entwurf hat das umgesetzt, was im Koalitionsvertrag zwischen SPD, FDP und Grünen vereinbart wurde", sagt Diplom-Ingenieurin Susan Haffmans vom Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland (PAN) dazu.
"Leider beschränkte sich die Koalitionsvereinbarung auf solche Pestizide, die aus Gesundheitsgründen keine Genehmigung in der EU haben, und ignorierte Pestizide, die aus Umweltgründen keine Genehmigung haben." Mehrere Organisationen kritisierten auch, dass viele gefährliche Stoffe fehlten und nur fertige Pestizide verboten werden sollten, und nicht die Grundsubstanzen, die weiter exportiert werden könnten.
Die Kritik sei durchaus berechtigt, sagt Karl Bär, Obmann der Grünen im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Die Verordnung, die schon seit über einem Jahr fertig sei, halte sich nach wie vor eng am Koalitionsvertrag. "Dabei könnten wir rechtlich weiter gehen und auch umweltschädliche Stoffe aufnehmen", sagt Bär.
Wirkstoff-Exporte zu verbieten, sei in einer Verordnung zwar nicht möglich, mit einer Mehrheit im Bundestag könne man die Gesetzesgrundlage dafür aber schaffen. "Doch in unserer Koalition haben wir auch immer die Wirtschaftsinteressen deutscher Großunternehmen am Tisch sitzen, was das ganze Unterfangen besonders schwierig macht."
Appell an Bundesregierung
Bei all der Kritik am Verordnungs-Entwurf sei es dennoch wichtig, dass zumindest das im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbot endlich umgesetzt werde, sagt Susan Haffmans: "Eine solche Verordnung würde Wirkung zeigen und die jährliche Ausfuhr tausender Tonnen hoch problematischer Wirkstoffe verhindern."
Deshalb haben PAN und weitere Organisationen die Bundesregierung im Sommer noch einmal zum Handeln aufgefordert. 157.491 Menschen unterschrieben den Appell "Giftexporte stoppen". Eine schriftliche Rückmeldung dazu habe es bisher nicht gegeben.
Woran hängt das Pestizidverbot?
Über 150.000 Menschen fordern das Verbot also. Die drei Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, es umsetzen zu wollen. Und ein Verordnungsentwurf steht schon seit über einem Jahr. Warum wurde die Verordnung also immer noch nicht umgesetzt?
"Dass sie noch nicht in Kraft ist, liegt ausschließlich an mangelnder Vertragstreue durch den Koalitionspartner FDP", sagt Bär von den Grünen. Franziska Kersten von der SPD bestätigt auf Nachfrage, dass die FDP die Umsetzung blockiere. Warum?
Liberale lehnen "pauschales Verbot" ab
Auf die Frage, warum das im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbot bestimmter, gefährlicher Pestizide noch nicht umgesetzt wurde, sagt Ingo Bodtke von der FDP-Fraktion folgendes: "Die FDP lehnt ein pauschales Exportverbot von Pflanzenschutzmitteln in Drittländer ab." Deutschland und die Europäische Union hätten eine große Verantwortung dafür, die Ernährung der von Hunger bedrohten Menschen im globalen Süden zu sichern.
"Wir dürfen nicht pauschal vielen Millionen Landwirten und Kleinbauern wichtige Pflanzenschutzmittel vorenthalten, weil sie diese Mittel zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage dringend benötigen." Ernteeinbußen in den von Hunger bedrohten Regionen der Welt hätten "katastrophale Folgen für die Bevölkerung vor Ort". Und: "Wenn wir die notwendigen Wirkstoffe und Produkte nicht liefern", so Bodtke, "tun dies andere Länder." Man setze deshalb auf Forschung und Entwicklung alternativer Wirkstoffe.
Kritik an FDP-Statement
"Es zeichnet ein Bild der Unzuverlässigkeit, dass die FDP im Koalitionsvertrag einem Ausfuhrverbot für bestimmte, aus Gesundheitsgründen verbotene Pestizide zugestimmt hat und sich jetzt auf Nachfragen davon distanziert und nichts mehr davon wissen will", sagt Susan Haffmans vom PAN.
Die Partei spreche jetzt fälschlicherweise von einem pauschalen Verbot. Das Argument, wenn Deutschland nicht liefere, würden es andere tun, lenke von der Verantwortung im globalen Pestizidhandel ab. "Unverantwortlich ist vielmehr hinzunehmen, dass es jährlich zu 385 Millionen unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen kommt, die sich zu 95 Prozent in den Ländern des globalen Südens ereignen", sagt PAN-Toxikologe Dr. Peter Clausing.
Wie aus dem Pestizidatlas der Heinrich Böll Stiftung hervorgeht, sagten Hersteller zwar immer wieder, ihre Produkte seien sicher für Gewässer und Menschen, wenn sie sachgemäß angewendet werden. Viele der Menschen, die die Pestizide vor Ort anwenden, seien aber schlecht geschult oder zu wenig aufgeklärt, um sich ausreichend schützen zu können. Schutzkleidung sei zudem oft schwer erhältlich, zu teuer oder bei hohen Temperaturen kaum tragbar.
"Das Festhalten an alten, oft problematischen Wirkstoffen verhindert genau das, was der FDP nach eigenen Angaben am Herzen liegt: Forschung und Entwicklung alternativer Wirkstoffe", sagt Susan Haffmans. Solange alte Wirkstoffe global weiter vermarktet werden könnten, fehle der Anreiz, sie durch weniger gefährliche zu ersetzen.
Pestizide bald Thema im Ausschuss
Auf die Nachfrage, wie das im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbot denn nun aus Sicht der FDP umgesetzt werden könnte, gab es keine Rückmeldung. Voraussichtlich im November sollen Pestizide aber in einem Ausschuss Thema sein, sagt Karl Bär von den Grünen. "Ich werde jede Möglichkeit nutzen, damit wir das Projekt endlich abschließen können", sagt er. Auch Franziska Kersten von der SPD beteuert, man wolle dranbleiben.
"Die Einwirkungsmöglichkeiten der SPD-Fraktion sind hier begrenzt, da Verordnungen grundsätzlich nicht den Bundestag passieren müssen", sagt sie. "Wir setzen uns aber in politischen Gesprächen mit der FDP weiter mit Nachdruck für eine Verabschiedung der Verordnung ein." Für Susan Haffmans und Peter Clausing bleibt die Forderung klar: "Wir erwarten, dass die Bundesregierung an dem Vorhaben festhält." Die Chancen stehen derzeit offenbar aber schlecht.
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