Weihnachten rückt näher, die Kinder haben ihre Wunschzettel geschrieben und im Spielzeughandel beginnt die wichtigste Zeit des Jahres: Die Regale und Lager sind bis obenhin gefüllt mit den neuesten Kollektionen für Puppen, Puzzles, Computerspiele und Co.
Rund 40 Prozent seines Umsatzes macht der Spielzeughandel in den letzten drei Monaten jedes Jahres, schätzt der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI). Produziert werden musste diese unheimliche Masse an Ware jedoch schon vor Monaten. Wenn unsereins noch am Strand liegt – im Juni, Juli und August –, laufen die Fabrikbänder in China oder Vietnam auf Hochtouren.
Denn alles, was nicht rechtzeitig auf dem Schiff ist, landet hier nicht mehr unter dem Weihnachtsbaum. Und je später die Hersteller ihre Aufträge vergeben, desto mehr drängt sich die Produktion. Mit dieser massiven Verdichtung während der Sommermonate beginnen die größten Probleme für die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Spielzeugfabriken.
Was sind die Hauptprobleme in der Spielzeugproduktion?
- Massive Überstunden
"Womit die Branche am meisten kämpft, sind die Überstunden, die aufgrund des Saisongeschäfts zustande kommen", sagt Maik Pflaum von der Romero Initiative (CIR), die in mehreren Studien unter dem Namen Toys Report gemeinsam mit internationalen NGOs die Arbeitsbedingungen in China beschrieben hat.
China ist für den deutschen Spielzeugmarkt noch immer das mit Abstand wichtigste Produktionsland. Und mithilfe von verdeckten Recherchen der Arbeitsrechte-Organisation China Labor Watch untersuchte der Toys Report 2019 die Zustände in fünf großen chinesischen Spielzeugfabriken, die für Marken wie Lego, Mattel oder Simba Dickie produzieren.
Eines der Ergebnisse: Während der Produktionsspitzen leisteten Arbeiterinnen dieser Werke zwischen 60 und 126 Überstunden pro Monat. Obwohl Arbeitsrechte in China geregelt sind, umgehen Fabrikbetreiber diese.
- Zu niedrige Löhne
Allerdings bleibt den Angestellten im Grunde auch nichts anderes übrig, als massiv Überstunden zu leisten. "Denn die Löhne reichen einfach nicht aus, um den Grundbedarf der Familien zu decken", benennt Pflaum Problem Nummer zwei. Die Arbeiterinnen erhalten nämlich nur den gesetzlichen Mindestlohn, aber der ist so niedrig, dass er alleine nicht zum Überleben reicht. Das bedeute, dass sie eigentlich nur in der Hochsaison genügend verdienen.
Nach wie vor gibt es in China keine unabhängigen Gewerkschaften, welche die Interessen der Arbeiterinnen vertreten. Und auch keine effektiven Beschwerdesysteme, an die sich die Belegschaft wenden könnte, beispielsweise bei immer wieder vorkommender sexueller Belästigung.
- Giftige Chemikalien
"Ein ganz großes Problem ist außerdem der Einsatz von Chemikalien", sagt Pflaum. Krebserregendes Benzol zum Beispiel oder Hexan werden in der Spielzeugindustrie weiterhin eingesetzt. Arbeiterinnen und Arbeiter erhalten weder ausreichende Schulung für den angemessenen Umgang mit solchen Stoffen noch tragen sie konsequent adäquate Schutzkleidung.
Pflaum: "Teilweise ist der Arbeitsdruck in der Hochsaison so groß, dass die Angestellten ihre Handschuhe nicht anziehen, weil man damit nicht so schnell arbeiten kann." Auch Schwangere erhalten oftmals keinen besonderen Schutz vor toxischen Chemikalien oder Nachtarbeit.
Immerhin beobachtet die NGO China Labor Watch, die seit 2001 regelmäßig ihre Recherchen zu Arbeitsbedingungen in der Spielzeugindustrie veröffentlicht, auch positive Veränderungen: So habe man zuletzt keine Fälle von Kinderarbeit mehr gefunden.
Keine Reports mehr aus China
Doch nun ist Schluss mit den Berichten aus der chinesischen Spielzeugindustrie: Der letzte Toys Report erschien 2020. Seither herrscht Funkstille. Maik Pflaum erklärt das mit dem veränderten politischen Klima im Land: "Es wurde einfach immer schwieriger, an die Firmen in China ranzukommen, und letztendlich zu gefährlich für diejenigen, die die Studien vor Ort gemacht haben."
China Labor Watch habe mittlerweile das Hauptbüro in die USA verlegt und müsse in China "total undercover" arbeiten. "Wir haben aber weiterhin Kontakt zu der Organisation und wissen, dass sich die zuletzt beschriebenen Arbeitsbedingungen in China nicht substanziell gerändert haben."
Neuer Toys Report aus Vietnam
Nach längerer Pause hat die CIR zu diesem Weihnachtsgeschäft jedoch wieder einen Toys Report heraus gebracht: Dieses Mal geht es um die Spielzeugindustrie in Vietnam, neben Indien und einigen osteuropäischen Staaten aufstrebendes Produktionsland in diesem Sektor. Der Name der Nichtregierungsorganisation, die für den Toys Report 2023 in vietnamesischen Spielzeugfabriken verdeckt recherchierte, hält die CIR dieses Mal jedoch aus Sicherheitsgründen geheim.
Pflaum selbst hatte Vietnam für den Report in diesem Sommer bereist und war schockiert: "Ein Arbeiter hat mir dort seine Hände gezeigt, und man hat auf schreckliche Weise gesehen, wie die Chemikalien seine Haut verändert hatten. Er hat auch erzählt, dass er keinen Geruchssinn mehr hat von den Chemikaliendämpfen."
Der Toys Report 2023 beschreibt auch für Vietnam die bereits aus China bekannten arbeitsrechtlichen Probleme: Überstunden, Chemikalien, Dumpinglöhne. Der Bericht kritisiert außerdem Missstände wie die systematische Diskriminierung von Saisonarbeiterinnen oder das Verbot von Schwangerschaften.
Pflaum: "Ich bin mir sicher, wären wir nach Indien gegangen, wäre es dasselbe gewesen. Denn es sind ja immer die gleichen Unternehmen, die dort fertigen lassen, und die bestimmen mit ihrer Einkaufspolitik, unter welchen Arbeits und Preisdruck ihre Zulieferer geraten."
>> Den Toys Report 2023 können Sie auf der Homepage der CIR downloaden: Studie: Toys Report 2023
Welche Lösung bietet die Fair Toys Organisation?
Die Arbeit mit den Auftraggebern, deren Verhalten maßgeblich für die unfairen Bedingungen in der Spielzeugproduktion ist, steht für die Fair Toys Organisation (FTO) im Vordergrund. Nach drei Jahren Vorlaufzeit und mit Finanzierung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat sich die FTO im Jahr 2020 als Multi-Stakeholder-Initiative mit Geschäftsstelle in Nürnberg gegründet.
Beteiligt und stimmberechtigt sind je zur Hälfte Organisationen der Zivilgesellschaft oder Kommunen und Unternehmen der Spielwarenindustrie. Die Romero-Initiative ist mit an Bord und Maik Pflaum vertritt sie im achtköpfigen Vorstand der FTO.
Ziel der Organisation ist die Vergabe des Gütesiegels Fair Toys, das die Bemühungen um faire Herstellungsbedingungen dokumentiert. Ihren Ansatz hat sie sich von einem großen Vorbild abgeschaut: Der Fair Wear Foundation, die sich als anerkannter Sozialstandard in der Bekleidungsindustrie etabliert hat.
Wie die Fair Wear Foundation geht auch die FTO davon aus: Die Auftraggeber in Europa sorgen mit ihren Vorgaben für die Bedingungen, unter denen Spielwaren in den Produktionsländern produziert werden und halten somit den wichtigsten Hebel in der Hand. Die FTO ist deshalb überzeugt: Ansetzen muss sie bei der Arbeit mit ihren Mitgliedern. "Die müssen ihre Aufträge so vergeben, dass hinten Arbeitsrechte herauskommen."
Derzeit wenige Mitglieder in Fair Toys Organisation
Auf der Liste der Mitglieder stehen bisher 16 Spielwaren-Hersteller. Die müssen beispielsweise
- ein Schulungssystem zur Einkaufspraxis implementieren,
- menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in ihrer Firmenphilosophie verankern,
- eine Is-tAnalyse aller Produktionsstätten erstellen
- oder ein effektives Beschwerdesystem aufbauen.
In einem zweiten Schritt kommt der "Fair Performance Check" ins Spiel, mit dem die FTO bewertet, wie stark das Unternehmen bereits aufgestellt ist. Ab einer gewissen Punktzahl darf es das Fair Toys-Siegel am Produkt tragen.
Das haben in diesem September erstmals zwei Unternehmen geschafft: Der fränkische Plüschtierhersteller Heunec und Plasticant Mobilo aus dem Schwarzwald. Sie erhalten das Siegel für ein Jahr, dann werden sie erneut überprüft. Die restlichen 14 Mitgliedsunternehmen – darunter Fischertechnik, Sigikid oder Zapf – müssen noch dieses Jahr ihren ersten Fair-Performance-Check absolvieren.
Das Problem bisheriger Zertifizierungen
In einem weiteren Schritt wird die FTO unabhängige Audits einführen. Ihr Standpunkt ist allerdings, dass diese als alleiniges Instrument ungeeignet sind: "Ein Audit ist immer eine Momentaufnahme, bei der sich vieles nicht abprüfen lässt – das Maß der geleisteten Überstunden etwa oder ob die Schutzkleidung auch wirklich immer getragen wird. Das haben wir aus der Bekleidungsindustrie gelernt", so Pflaum.
Es ist ja nicht so, dass die Fair Toys Organisation der erste Vorstoß der Spielwarenindustrie in Sachen Arbeitsrechte ist. Bereits seit zwei Jahrzehnten gibt es mit dem Ethical Toy Program einen Verhaltenskodex des Internationalen Spielwarenverbandes und entsprechende Zertifizierungen unter dem Namen ICTI Care. Nur scheinen die nicht besonders gut zu funktionieren.
Verstöße gegen Arbeitsrecht – trotz ICTI Care
Im oben erwähnten Toys Report von 2019 waren alle fünf untersuchten Spielzeugfabriken nach dem ICTI-Care-Standard zertifiziert und bei allen fünfen hatten die verdeckten Ermittler Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt.
"Das Grundproblem bei ICTI ist aus unserer Sicht, dass es sich dabei um eine reine Industrieorganisation handelt und Stimmen der Zivilgesellschaft oder von Angestellten nur unzureichend berücksichtigt sind", sagt Christian Eckerlein von der Schweizer NGO Solidar Suisse, die sich auch für faire Arbeitsbedingungen in der Spielzeugindustrie einsetzt. Gerade in der Repräsentation der Zivilgesellschaft sieht er einen der Vorteile der Fair Toys Organisation.
Fair Toys Organisation: Große Namen fehlen noch
Nun braucht die FTO nur noch mehr Zulauf. Von den 230 im deutschen Spielzeugverband DVSI organisierten Mitgliedern sind bisher nur 16 dabei, große Namen wie Simba Dickie oder Playmobil fehlen.
Ulrich Brobeil, Geschäftsführer des Verbands, ist jedoch zuversichtlich: "Das ist ein Prozess, der sich entwickeln muss. Ich bin mir sicher, dass bald immer mehr Firmen auf den Zug aufspringen."
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