- Die Kosmetikbranche produziert jedes Jahr große Mengen an Plastikmüll. Das ist ein Problem.
- In vielen Fällen ließe sich der Verpackungsmüll bereits reduzieren, in dem zum Beispiel auf einen unnötigen Umkarton verzichtet wird.
- Und: Manche als nachhaltig beworbenen Materialgemische sind sogar noch schwerer oder gleich gar nicht zu recyclen, weil sie in den Sortieranlagen nicht richtig getrennt werden können.
Die Nivea Vital Nachtpflege für reife Haut steckt in einem rosablauen Pappwürfel mit sieben Zentimetern Kantenlänge, das bedeutet viel Platz für viele beruhigende Botschaften: Die Creme mit Rosenöl und Calcium vitalisiere die Haut sichtbar, heißt es dort; sie reduziere die Faltentiefe und versorge die Haut intensiv mit Feuchtigkeit.
Das gute Gewissen gibt es zum strahlenden Teint gratis dazu – denn "aus Liebe zu Haut & Umwelt" bestehe der enthaltene Creme-Tiegel zu 50 Prozent aus recyceltem Material. Daneben prangt ein grünweißes Herz. Man hätte auch auf die Schachtel verzichten können, denn sie verpackt ja nur eine weitere Verpackung, den Kunststofftiegel mit seinem Plastikdeckel und seiner Verschlussfolie aus Aluminium. Zumindest etwas weniger Müll hätte das bedeutet.
Nachhaltige Verpackungen: Kosmetikbranche produziert viel Müll
Doch so weit geht die Umweltliebe bei Nivea offenbar doch nicht. Der Karton samt Plastiktiegel und Alufolie steht für ein Problem, das die ganze Kosmetikbranche betrifft. Lidschatten in Plastikschatullen mit Metallscharnieren, Nagellack in Glasflakons mit Kunststoffpinsel, Puder in Aluminiumdöschen mit Papieretikett, oft nochmals umhüllt von einer glänzend bedruckten Pappschachtel – das Geschäft mit der Schönheit hinterlässt riesige Müllberge.
Angesichts der Umweltdebatte wird das auch der Kundschaft immer bewusster. Es geht nicht mehr nur noch um Mikroplastik in der Kosmetik selbst, sondern auch um die Materialien drumherum. Nahezu alle Marken versprechen deswegen neben nachhaltigen Inhaltsstoffen mittlerweile auch umweltfreundlichere Verpackungen, mehr Recycling, Mehrweglösungen. Nur bei einer Sache zögern fast alle: einfach die Verpackungen zu reduzieren.
Die Nachhaltigkeitsversprechen der Konzerne
Stattdessen versucht man es mit anderen Materialien. "Wir ersetzen Kunststoffe, wo immer es sinnvoll ist", heißt es etwa bei Nivea, für Pappverpackungen werde nur "Holz aus nachhaltigen Quellen" benutzt. Der Konzern L’Oréal mit seinen Marken Garnier, La Roche-Posay oder Maybelline New York plant, bis 2030 nur noch Kunststoff aus biobasierten oder recycelten Quellen zu verwenden. Der Konsumriese Procter & Gamble, zu dem etwa Pantene, Herbal Essence und Olaz gehören, hat für Shampoos ein Nachfüllsystem mit Aluminiumflaschen und Nachfüllbeuteln aus Plastik eingeführt.
Manche Hersteller nutzen aus dem Ozean gefischtes Plastik zur Wiederverwertung für ihre Flaschen, Schwarzkopf zum Beispiel verwendet "in ausgewählten Produkten" sogenanntes "Social Plastic" – Müll, der in ärmeren Ländern wie Ägypten gesammelt wird.
Doch Umwelt- und Verbraucherschützer überzeugt das wenig. Es gibt keine Daten darüber, wie viel der mittlerweile knapp 20 Millionen Tonnen Verpackungsmüll, die jährlich in Deutschland anfallen, von Herstellern von Make-up und Pflegeprodukten stammen. Doch niemand bestreitet, dass es mehr werden.
Nachhaltige Verpackungen: Umstrittene Umkartons
"Die Kosmetikindustrie gehört zu den Verpackungsweltmeistern, das ist ein uraltes Phänomen", sagt Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale in Hamburg. Ein großes Problem seien zum Beispiel die komplexen Verbundverpackungen – mit Aluminium beschichtete Folien zum Beispiel, die am Ende nur deponiert oder verbrannt werden können. Und natürlich die Kartonschachteln. "Die Verbraucherinnen und Verbraucher melden sich zu Hunderten bei uns und beschweren sich zum Beispiel über überflüssige Umverpackungen von Creme- Tuben", sagt Tristan Jorde. "Aber es ändert sich nichts."
Gerade die Umverpackungen sind vielen ein ewiges Ärgernis, auch weil sie oft mehr versprechen als sie zu halten vorgeben. Der sieben Zentimeter hohe Pappwürfel mit Plastiktiegel im Inneren ist oft Standard im Super- und Drogeriemarkt – ob für Nivea, L’Oréal, Judith Williams, aber auch für Naturmarken wie Weleda. Gemein ist den Boxen, dass sie größtenteils Luft enthalten: Der Tiegel ist jeweils nur etwa halb so hoch wie die Schachtel und hat gerade mal Platz für 50 Milliliter Creme. Damit er in der großen Schachtel nicht so verloren aussieht, steht er oft auf einem extra eingezogenen Papppodest. Noch mehr Müll. Alles Mogelpackungen?
Kosmetikbranche wehrt sich gegen die Vorwürfe
Die Branche wehrt sich mit dem Argument, dass die Umverpackungen durchaus einen tieferen Zweck erfüllen könnten. Laut Harald Dittmar, Geschäftsführer des Bundesverbands der Industrie- und Handelsunternehmen für Arzneimittel, Reformwaren, Nahrungsergänzungsmittel und kosmetische Mittel (BDIH), hätten solche Sekundärverpackungen oft eine zusätzliche Schutzfunktion; zudem erleichterten sie die Transport- und Verkaufslogistik, da sich Tiegel und Tuben nur schlecht stapeln ließen.
Auch gehe es "um die Notwendigkeit, alle vorgeschrieben Kennzeichnungen, einschließlich Liste der Bestandteile sowie Anwendungshinweise in ausreichend lesbarer Form unterzubringen", sagt Dittmar. "Dafür sind bestimmte Primärverpackungen nicht geeignet."
Doch die Schachteln dürfen dabei so viel Luft enthalten, wie es den Unternehmen passt – sie müssen nur angeben, wie viel Milliliter Creme drin sind; außerdem muss der enthaltene Tiegel oder die Tube auf der Umverpackung in Originalgröße abgebildet sein. Das passiert auch bei der Nivea Vital Nachtpflege: Der Tiegel wird auf dem Karton in seiner tatsächlichen Größe gezeigt – allerdings mit abgeschraubtem Deckel, auf den man das Döschen für das Bild draufgestellt hat. Oben lugt ein Zipfel weißer Creme hervor. Damit wirkt der Tiegel fast doppelt so groß wie er eigentlich ist.
Nachhaltige Verpackungen: Einweg-Karton oder Plastik?
Für Elena Schägg, die bei der Deutschen Umwelthilfe als Teamleiterin für Verpackungen und Kreislaufwirtschaft arbeitet, gehören solche Extraboxen verboten. "Die allermeisten Umverpackungen sind unnötig, egal aus welchem Material", sagt sie. Die Liste der Bestandteile und die Anwendungshinweise könne man auch direkt auf den Tuben und Tiegeln aufbringen.
Schägg sieht wie Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale viele der vermeintlichen Umweltmaßnahmen der Kosmetikhersteller kritisch. Alle versuchten zwar wie verrückt, Alternativen zu klassischem Plastik zu nutzen – doch die Lösungen seien in vielen Fällen schlimmer. "Einweg-Karton-Verpackungen haben oft eine viel schlechtere Öko-Bilanz als Leichtplastik", sagt Jorde. "Die sind dann oft ungebleicht und haben eine grüne Blume drauf, damit es umweltfreundlich aussieht – dabei ist das Gegenteil der Fall."
Warum Materialgemische besonders problematisch sind
Noch problematischer sind Materialgemische. La Roche Posay zum Beispiel bewirbt Kunststofftuben mit einem hohen Papieranteil als besonders nachhaltig. "So etwas erschwert das Recycling nur", sagt Elena Schägg. Denn auch wenn die einzelnen Materialien theoretisch recyclingfähig sind, können Verbundverpackungen aus mehreren Stoffen in den Sortieranlagen in Deutschland nicht dem richtigen Material zugeordnet werden, die einzelnen Schichten sind im Recyclingprozess kaum voneinander trennbar.
Statt einer Weiternutzung bleibt somit nur die Verbrennung. Das gilt auch für Holzelemente. Die Luxusmarke Luvia zum Beispiel bietet Kosmetikpinsel aus Bambus an. "Das wirkt natürlich, aber Bambus kann nicht recycelt werden", sagt Elena Schägg. "Und dann ist es meist so behandelt, dass man es nicht in die Biotonne werfen sollte."
Verpackungsindustrie setzt auf neue Industriestandards
Die Verpackungsindustrie indes sieht sich unfairerweise dämonisiert. "Die Nachhaltigkeitsversprechen der Unternehmen sind keine Lippenbekenntnisse, das sind reale Entwicklungen", sagt Kim Cheng, Geschäftsführerin des Deutschen Verpackungsinstituts. "Es gibt Innovationen, die nur noch Monomaterialien statt Verbundsysteme einsetzen, es wird nach Mehrweglösungen geschaut, nach Refill-Systemen."
Die Frage sei aber immer, wie massenkompatibel das sei – und ob die Kundinnen und Kunden die neue Lösung annehmen. Cheng verweist wie der BHID-Mann Dittmar auf das CosPaTox-Konsortium. Der Zusammenschluss von Kosmetikunternehmen, der sich für die Verwendung von Rezyklaten für Kosmetikverpackungen einsetzt: also Kunststoffen, die aus Abfällen gewonnen werden. Aktuell will die Organisation Sicherheitsstandards festgelegen – toxikologisch unbedenkliche Grenzwerte zum Beispiel, oder Prüf- und Messmethoden zur Qualitätsprüfung. "Wir brauchen solche Industriestandards", sagt Cheng. "Die Marken müssen genau wissen, wie sie Verpackungen am besten gestalten, damit sie wiederverwendet und recycelt werden können."
Auch Reycylingmaterialien sind nicht immer unbedenklich
Allerdings gelten auch Recyclingmaterialien nicht uneingeschränkt als unbedenklich. "Am besten wäre es, wenn Rezyklate aus dem Gelben Sack eingesetzt würden", sagt Elena Schägg von der Umwelthilfe. "Wenn Kosmetikbehälter aber aus bepfandeten PET-Getränkeflaschen hergestellt werden, ist das ein Downcycling – denn daraus wird dann keine neue Lebensmittelverpackung mehr werden." Das sei nicht im Sinne einer anspruchsvollen Kreislaufwirtschaft.
Was also tun? Die Naturkosmetikmarke Grüne Erde drückt das Verpackungsdilemma auf ihrer Website so aus: "Eine kompromisslos ökologische Lösung ist vorerst nicht in Sicht." Glas? Zu schwer im Transport und bruchgefährlich im Badezimmer. Biokunststoff aus Zucker oder Mais? Oft unter Einsatz von Agrarchemie hergestellt und weder gut recycel- noch kompostierbar. Nachfüllsysteme? Teuer und hoher Energiebedarf. Bei Grüne Erde setzt man vorerst weiter auch auf Standardkunststoff. Auf Umverpackungen aus Karton möchte man auch hier nicht verzichten. Und vergisst nicht zu erwähnen: "An der Öko-Bilanz eines Kosmetikprodukts hat die Verpackung nur einen kleinen Anteil."
Mehrwegverpackungen sind die beste Wahl
Da stimmt Jana Fischer, die wie Tristan Jorde bei der Verbraucherzentrale Hamburg arbeitet, grundsätzlich zu. "Relevanter als die Verpackung ist in der Regel das enthaltene Produkt, da dieses mengenmäßig den größeren Anteil hat", sagt sie. Das sei aber kein Freifahrtschein. "Aus ökologischer Sicht ist grundsätzlich möglichst wenig Verpackung oder eine Mehrwegverpackung die beste Wahl." Im Zweifel empfiehlt sie zertifizierte Naturkosmetik, da könne man sich immerhin auf einen weitgehend unbedenklichen Inhalt verlassen.
Die zwei wichtigsten Naturkosmetiksiegel in Deutschland – der vom BDIH mitentwickelte Cosmos-Standard und das Siegel der Non-Profit-Gruppe NaTrue – listen in ihren Vergabekriterien auch Bedingungen für Verpackungen auf. In beiden Fällen wirken diese aber vergleichsweise lasch.
Bei NaTrue heißt es zum Beispiel, dass die Verpackung auf "ein Minimum" beschränkt werden müsse, auch sollten die Produkte "soweit möglich" zur Mehrfachanwendung konzipiert sein und aus wiederverwendbaren Packmaterialien bestehen. Ausdrücklich verboten sind nur halogenierte Kunststoffe wie Polyvinylchlorid.
Bei Cosmos gibt es 16 Verpackungskriterien, die auf vier Kategorien verteilt sind: Reduzieren, Wiederverwendung, Erneuerbare Energien, Recyceln. Für ein Siegel reicht es aber, nur drei Kriterien aus mindestens zwei Kategorien zu erfüllen. Auf eine Umverpackung zu verzichten wird zwar als positiv bewertet, ist aber nicht verpflichtend.
Nachhaltige Verpackungen: Gesetzgeber in der Pflicht
Die Verbraucher- und Umweltschützer Jorde, Schägg und Fischer sehen den Gesetzgeber in der Pflicht, die Kosmetikindustrie zum Handeln zu bewegen – also vor allem dazu, die Verpackungen deutlich zu reduzieren. Das mehr als 30 Jahre alte Verpackungsgesetz müsse überholt werden, darin sind sie sich einig.
In seiner jetzigen Form sei es "ein Rohrkrepierer" sagt Tristan Jorde. Seine Kollegin Jana Fischer drückt es diplomatischer aus: "Eine neue gesetzliche Regulierung wäre auch für die Industrie hilfreich – ein einzelner Hersteller wird ungern das Risiko eingehen, mit umweltfreundlichen, aber teureren Materialien zu experimentieren", sagt sie. "Wenn dazu alle verpflichtet sind, wird es auch funktionieren."
Das sieht Kim Cheng vom Verpackungsinstitut naturgemäß anders. "Ich bin kein Fan von Verboten", sagt sie. "Da besteht die Gefahr, dass pauschal von oben reguliert wird, was in der Praxis eventuell nicht umsetzbar oder sogar kontraproduktiv ist."
Konsumenten müssen Druck machen
Besser funktioniere der Druck der Konsumentinnen und Konsumenten. "Bei der Zahnpasta sieht man doch schon, dass viele Umverpackungen aus den Regalen verschwunden sind. Und das passiert, weil es die Konsumenten so wollen." Man dürfe aber nicht vergessen, dass es in der Kosmetik um äußere Schönheit gehe, und das gelte auch für die Verpackungen. "Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Kundinnen nachhaltige Verpackungen wünschen", sagt Cheng. "Aber am Ende geht es gerade hier auch um Ästhetik."
Und auf ein bisschen Bling-Bling wolle niemand verzichten. Nur: Das Bling-Bling schadet der Umwelt – und wenn auf den übergroßen Verpackungen dann auch noch Umweltversprechen aufgedruckt sind, dann täuscht es uns auch.
Wohin mit dem Kosmetikmüll?
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Behälter aus Kunststoff kommen in den Gelben Sack oder die Wertstofftonne. Wichtig: Wenn möglich immer den Deckel abschrauben und getrennt entsorgen.
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Auch Aluminium- und Weißblechverpackungen gehören in den Gelben Sack, etwa Tiegel und Sprühdosen. Sie müssen komplett entleert sein.
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Andere Metalle wie Lidschattenpfännchen werden im Metallbehälter im Wertstoffzentrum entsorgt.
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Pappschachteln aus Karton gehören ins Altpapier – sofern es nicht beschichtet ist. Sonst muss es in den Gelben Sack. Recycelt werden kann es in dem Fall aber fast nie.
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Glasflakons und -tiegel können im Altglascontainer entsorgt werden, nach Braun-, Grün- und Weißglas sortiert. Achtung: Nagellackflakons müssen leer sein. Der Lack ist Sondermüll!
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Kosmetiktücher und Wattepads kommen in den Restmüll, ebenso Einwegrasierer, Puderreste, übrig gebliebener Lidschatten, Lippenstift oder Rouge.
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