Umstrittenes Titandioxid in Lipgloss: Warum das problematisch ist

Magazin April 2025: Müsli | Autor: Dimitrij Rudenko/Heike Baier/Rebecca Welsch | Kategorie: Kosmetik und Mode | 27.03.2025

Lipgloss im Test: Wie steht es um Titandioxid in den Rezepturen?
Foto: ÖKO-TEST

Lipgloss verleiht den Lippen einen verführerischen Glanz, aber um welchen Preis? Fast alle Lipglosse im Test enthalten noch immer das umstrittene Farbpigment Titandioxid. Was das Problem dabei ist. 

  • Wir haben 15 rosarote und möglichst schimmernde Lipglosse auf Titandioxid untersucht. Die Ergebnisse sind bis zum 23. April 2025 kostenlos in unserem Shop verfügbar. 
  • Enttäuschend: Nur ein Lipgloss im Test enthält kein Titandioxid. 
  • Titandioxid (TiO₂) geriet im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr in Verruf. Bereits seit 2022 ist TiO₂ als Zusatzstoff E171 in Lebensmitteln verboten, weil laut Europäischer Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine erbgutschädigende Wirkung des Stoffes nicht mehr ausgeschlossen werden könne.
  • Seit diesem Verbot stellt sich die Frage: Kann das mineralische Pigment auch genotoxisch wirken, wenn es aus Kosmetik wie Lipgloss verschluckt wird?
  • Um das zu beantworten, fordert der EU-Ausschuss für Verbrauchersicherheit (SCCS) mehr Daten aus experimentellen Studien. Diese liegen inzwischen vor. Laut einer Komissionssprecherin werde der SCCS voraussichtlich im zweiten Quartal 2025 mit der erneuten Sicherheitsbewertung beginnen.
  • ÖKO-TEST bewertet streng: Seit das Verbot in Lebensmitteln beschlossen war, werten wir TiO₂ in verschluckbarer Kosmetik bereits ab. 

So ein Lipgloss ist schnell mal abgeleckt, meist passiert das ganz unbewusst. Und im Laufe des Tages muss dann immer wieder nachgelegt werden: ablecken, nachlegen, ablecken, nachlegen, und so weiter. Ist das ein Problem? Könnte schon sein – zumindest dann, wenn der Lipgloss Titandioxid (TiO₂) enthält.

Lipgloss im Test: Fast alle enthalten umstrittenes Titandioxid

In seiner neuesten Stellungnahme vom Mai 2024 hat der wissenschaftliche Experten-Ausschuss für Verbrauchersicherheit der EU (SCCS) erneut Bedenken zur Sicherheit von Titandioxid in Kosmetik geäußert. Wir sehen den Stoff in verschluckbarer Kosmetik bereits seit Jahren kritisch und wollten wissen, ob die Hersteller sich des Themas mittlerweile stärker annehmen.

Deshalb haben wir 15 rosarote Lipglosse eingekauft und die Liste der Inhaltsstoffe (INCI) auf Titandioxid überprüft. Das ernüchternde Ergebnis: 14 von 15 Produkten setzen das Farbpigment nach wie vor ein. 

Risiken beim Verschlucken von Lipgloss 

Das heißt: Lediglich ein Produkt im Test verzichtet auf Titandioxid – und zeigt, dass es auch ohne geht. Doch warum ist der Stoff eigentlich ein Problem? Der Einsatz von Titandioxid in Kosmetik ist zwar zugelassen. Das Farbpigment geriet aber im Laufe der letzten Jahre immer mehr in Verruf. Bereits seit 2022 ist TiO₂ als Zusatzstoff E171 in Lebensmitteln verboten, weil laut Europäischer Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine erbgutschädigende Wirkung des Stoffes nicht mehr ausgeschlossen werden könne.

Das galt aber nur für die orale Aufnahme. Auf gesunde Haut aufgetragen gehe von Titandioxid nach aktuellem Stand keine Gefahr aus, schreibt das SCCS. Aber: Lippenkosmetik kann eben auch verschluckt werden – laut einer früheren Berechnung des SCCS in Mengen bis zu 57 Milligramm pro Tag. Deshalb werten wir TiO₂ in verschluckbarer Kosmetik bereits ab, seit das Verbot in Lebensmitteln beschlossen war.

Zudem haben Studien gezeigt, dass größere Mengen von TiO₂ in Nanoform Entzündungen im Darm verstärken könnten. Liegt im Produkt Titandioxid zu mehr als 50 Prozent in Nanoform vor, müssen Hersteller das in der INCI angeben.

Im Labor ließen wir die Verteilung der Partikelgrößen bestimmen. Bei fünf Produkten lag Titandioxid überwiegend nanoförmig vor, ohne eine entsprechende Kennzeichnung in der INCI. 

Jetzt Ergebnisse kostenlos im Shop downloaden!

Titandioxid in "Kosmetika für die orale Anwendung"

Das Experten-Gremium des SCCS hat sich in seiner Erklärung vergangenen Mai noch einmal speziell mit der Frage beschäftigt, ob es bei den zahlreichen, in "Kosmetika für die orale Anwendung" eingesetzten Titandioxid-Qualitäten Sicherheitsbedenken gibt.

Bei fast allen TiO₂-Qualitäten kommt das Gremium zum Schluss, dass es die Gefahr einer Genotoxizität nicht ausschließen könne und fordert mehr Daten. Offenbar fehlen vor allem Informationen darüber, in welchem Maße TiO₂-Varianten über die Mundschleimhaut aufgenommen werden können, und wie sie dort auf die Zellen wirken.

Erneute Sicherheitsbewertung in Arbeit 

Wie geht es nun also weiter für Titandioxid in verschluckbarer Kosmetik? Wir haben bei der EU-Kommission nachgefragt und erfahren: Die Kosmetikindustrie hat inzwischen ein "umfassendes Sicherheitsdossier" vorgelegt – weitere Daten liegen also jetzt offenbar auf dem Tisch. Der SCCS werde laut einer Kommissionssprecherin voraussichtlich bereits im zweiten Quartal 2025 mit der erneuten Sicherheitsbewertung beginnen.

"Sobald das Gremium seine aktualisierte Stellungnahme abgegeben hat, wird die Europäische Kommission mögliche Regulierungsmaßnahmen prüfen." Diese könnten weitere Beschränkungen beinhalten oder ein Verbot von TiO₂ in bestimmten Kategorien von Kosmetikprodukten.

Und wie verhält sich die Industrie derweil? Wir haben dazu die Anbieter unseres Lipgloss-Tests gefragt. Die Rückmeldungen zeigen uns, dass die Forschung nach Alternativen zwar auf Hochtouren läuft, der Austausch von TiO₂ dagegen sehr zögerlich erfolgt.

Weiterlesen auf oekotest.de:

Wir haben diese Produkte für Sie getestet

Testverfahren

Insgesamt 15 Lipglosse in rosarot möglichst schimmernden Tönungen haben wir in Biomärkten sowie im (Online-)Drogeriehandel eingekauft, darunter sechs Produkte mit Naturkosmetik-Siegel.

Bei Füllmengen von 2,9 bis 7 Millilitern haben wir pro Stück zwischen 2,25 und 12,95 Euro bezahlt. Von allen Herstellern ließen wir uns die aktuellen Listen der Inhaltsstoffe für den getesteten Farbton zusenden und identifizierten darüber Titandioxid. In einem spezialisierten Labor ließen wir in Produkten mit Titandioxid die Verteilung der Partikelgrößen bestimmen und überprüften, ob die Hersteller Nanomaterial auch als solches deklarieren.

Bewertungslegende

Soweit nicht abweichend angegeben, handelt es sich bei den hier genannten Abwertungsgrenzen nicht um gesetzliche Grenzwerte, sondern um solche, die von ÖKO-TEST festgesetzt wurden. Die Abwertungsgrenzen wurden von ÖKO-TEST eingedenk der sich aus spezifischen Untersuchungen ergebenden Messunsicherheiten und methodenimmanenter Varianzen festgelegt. Steht bei konkret benannten Analyseergebnissen "nein", bedeutet das "unterhalb der Bestimmungsgrenze" der jeweiligen Testmethode.

Bewertung Testergebnis Inhaltsstoffe: Unter dem Testergebnis Inhaltsstoff Titandioxid führt zur Abwertung um zwei Noten: Farbpigment Titandioxid (CI 77891).

Bewertung Testergebnis Weitere Mängel: Unter dem Testergebnis Weitere Mängel führt zur Abwertung um eine Note: fehlende Angabe "nano" bei Titandioxid in der Liste der Inhaltsstoffe gemäß EU-Kosmetik-Verordnung 1223/2009 und der Empfehlung 2022/C 229/01 der EU-Kommission zur Definition von Nanomaterial, wenn das in den Produkten enthaltene Titandioxid zu mehr als 50 % nanoförmig vorliegt.

Das Testergebnis Titandioxid beruht auf dem Testergebnis Inhaltsstoff Titandioxid. Ein Testergebnis Weitere Mängel, das "gut" ist, verschlechtert das Testergebnis Titandioxid nicht. Aus rechtlichen Gründen weisen wir darauf hin, dass wir die (vom Hersteller versprochenen) Wirkungen der Produkte nicht überprüft haben.

Testmethoden

Titandioxid: per Deklaration.
Nanomaterial: Untersuchung auf Titandioxid-Partikel mittels ISO/TS 19590:2019 nach Herstellung einer Dispersion mittels Ultraschall VialTweeter.

Einkauf der Testprodukte: Dezember 2024.

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