Der Deutsche Tierschutzbund hat sich zum Ziel gesetzt, dass jedes Tier in Deutschland ein artgerechtes Leben führen kann. Seit Oktober 2011 ist Thomas Schröder dessen Präsident. Wir haben mit ihm gesprochen.
ÖKO-TEST: Das neue verpflichtende Label der Bundesregierung zur Tierhaltung soll für mehr Transparenz und Klarheit beim Fleischkauf sorgen. Ein Zeichen in die richtige Richtung?
Thomas Schröder: Leider nein – weil die neue Kennzeichnung, die Minister Cem Özdemir vorgelegt hat, mit Tierschutz erst mal gar nichts zu tun hat. Kein einziges Tier kommt deswegen in eine bessere Situation. Es wird nur abgebildet, in welcher Haltungsform ein Tier gelebt hat, ohne dass das Ende einer bestimmten Form der Tierhaltung vorgesehen wäre.
Welche Haltungsformen würden Sie beenden?
Schröder: Auf jeden Fall die beiden untersten Stufen "Stall" und "Stall + Platz". Das sind geschlossene Systeme ohne Frischluft und Tageslicht, wo die Tiere auf Spaltenböden leben. Deswegen erwarte ich eigentlich, dass mindestens diese beiden Formen ein Ablaufdatum bekommen, um irgendwann mindestens bei "Frischluftstall" und den beiden anderen höheren Stufen zu sein. Aber das ist nicht vorgesehen, zumindest nicht erkennbar.
Tierhaltungskennzeichung legitimiert aktuelle Haltungsformen
Für die armen Schweine, die als Erste gelabelt werden, bringt es also nichts?
Schröder: Über 90 Prozent der Schweine leben in Systemen, die der Handel derzeit mit Stufe 1 oder 2 kennzeichnet. Bei der staatlichen Kennzeichnung werden die Stufen dann "Stall" und "Stall + Platz" heißen. Damit werden diese tierschutzwidrigen Haltungsformen quasi legitimiert.
Kein einziges Schwein kommt so da raus. Auch deswegen nicht, weil nicht gleichzeitig eine Förderpolitik aufgesetzt wurde, die die Landwirte in die Lage versetzt, ihr Stallsystem umzubauen. Es fehlt also an jeder Ecke.
Hilft es zumindest dem Verbraucher, weil man beim Einkauf besser informiert ist als bisher?
Schröder: Ja, aber selbst da bleibt massive Kritik. Beim Wort "Stall" denken die meisten Verbraucher doch eher an einen Bauernhofstall mit Stroh und Fenstern. Aber die Realität ist viel trauriger. Auch die Stufe "Frischluftstall" ist nicht ausreichend definiert. Mit diesen Begrifflichkeiten sind grobe Täuschungen programmiert. Da bleibt vieles offen wie ein Scheunentor.
Für manche Tiertarten gibt es keine Haltungsverordnung
Sie glauben nicht an eine Lenkungswirkung der Verbraucher?
Schröder: Tatsächlich ist eine Bewegung der Verbraucher schon da. Produkte mit den Haltungsformen 3 und 4 des Handels sind immer stärker vertreten. Das ist ein positiver Trend, aber noch lange nicht genug – zumal wir immer noch verarbeitetes Fleisch haben, bei dem die Herkunft und Tierhaltung nicht erkennbar sind, dazu Fleisch aus dem Ausland und generell ein Durcheinander von Labels im Sortiment.
Außerdem sollen mit der Kennzeichnung von Özdemir künftig die Haltungsweisen bei allen Tierarten transparent gemacht werden. Aber mir fehlt noch die Fantasie, wie fünf Stufen bei Puten oder Rindern angesetzt werden sollen, da es für diese Tierarten nicht mal eine Haltungsverordnung gibt. Also: Diese Kennzeichnung ist nur bedingt eine Hilfestellung für Verbraucher und ein Instrument, das jeden Plan vermissen lässt.
Scheinbar gibt es auch keinen klaren Plan, ab wann das Gesetz real gilt. Es ist zwar seit Jahresanfang in Kraft, aber man hört von Übergangsfristen bis zum Sommer 2025 …
Schröder: Es ist sogar noch komplizierter! Eine Regelung, die klare Mindestkriterien für die Haltungsstufen "Frischluftstall" und "Freilandhaltung" festlegen sollte, ist vom Bundesrat nicht beschlossen worden. Das führt dazu, dass die örtlichen Veterinärämter die Einstufung der Ställe übernehmen müssen, ohne dass es klare Kriterien gibt. Damit haben wir keine bundesweit einheitlichen Regeln. Jetzt müssen sich die Länder im Hintergrund dazu absprechen.
Tierschutzbund fordert staatliche umfängliche Tierschutzkennzeichnung
Parallel gibt es neuerdings Labels an der Frischfleischtheke für unverpackte Produkte …
Schröder: Sie kennzeichnen aber nur die Länderherkunft und sagen nichts über die Tierhaltung aus. Und nur weil ein Deutschland-Ticket draufsteht, bedeutet dies nicht mehr Tierschutz bei Aufzucht oder Mast. Damit wird das Labelwirrwarr nur vergrößert. Deswegen brauchen wir endlich eine umfängliche staatliche Tierschutzkennzeichnung!
Wie soll die aussehen?
Schröder: Zuerst braucht es einen Plan, eine Strategie, die sagt: In 20 Jahren möchten wir, dass die Tiere in der Landwirtschaft so und so gehalten werden: mit frischer Luft, Tageslicht, Platz und Auslauf. Es muss doch machbar sein, dass ein Tier, das später zu Fleisch verarbeitet wird, um auf dem Teller zu landen, in seinem Leben Frischluft und Tageslicht hatte. Mit einem solchen Ziel kann man eine Förderpolitik, Labelinstrumente und Transparenzoffensiven konkret aufbauen.
Aber im Moment fängt man von hinten an. Es ist ein strategischer Fehler und fast tragisch, was Özdemir da auf den Tisch gelegt hat. Seine Vorgänger haben wenigstens eine Kennzeichnung für mehr Tierschutz versucht, die auch den Transport und die Schlachtung umfassen sollte. Özdemir hat eine Kennzeichnung allein für die Haltung gemacht. Das ist Verrat an den Tieren.
Die Bauern, die ohnehin auf den Barrikaden sind, werden sagen: Was ihr da wollt, ist undenkbar!
Schröder: Ich kann den Unmut der Landwirte verstehen, weil sie keine Planungssicherheit haben. Einer, der ein "Stall + Platz"-System hat, weiß nicht, ob er es in 20 Jahren noch betreiben darf. Er hat keine Aussicht, mit seiner Art der Tierhaltung gesellschaftlich akzeptiert zu werden, und bekommt den Übergang zu einem besseren System nicht finanziert.
Aber ich darf auch die Verbraucher nicht dazu missbrauchen, mangelndes Ordnungsrecht durch ihren Einkauf zu korrigieren. An der Ladenkasse ist das Dilemma allein nicht zu regeln. Der Staat muss einen gesetzlichen Rahmen bieten, und dazu gehört auch eine Anschubfinanzierung von drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr.
Tierschutzbund hat eigenes Tierwohllabel aufgelegt
Der Deutsche Tierschutzbund hat bereits das Label Für Mehr Tierschutz aufgelegt. Was kann es besser?
Schröder: Es ist das einzige echte Tierschutzkennzeichen, das neben der Haltung auch den den Transport und die Schlachtung umfasst. Wir haben schon in der Einstiegsstufe deutliche Fortschritte im Vergleich zur konventionellen Tierhaltung geschaffen.
Der Stall wird umgebaut, bei der Milchkuh ist die Anbindehaltung in jeglicher Form verboten. Bei Schweinen haben wir verschiedene Bereiche in den Buchten, um zu verhindern, dass ein Tier an gleicher Stelle urinieren, schlafen und sich beschäftigen muss. In der Geflügelaufzucht werden bei der Einstiegsstufe erhöhte Ebenen geschaffen, die Tiere haben Zugang zu einem Kaltscharrraum oder Auslauf.
Jedes Tier, das in den Tod geht, um Fleisch zu werden, ist eine Leidensgeschichte. Deshalb wollen wir jenen, die noch in diesem System leben und sterben müssen, zumindest zu besseren Bedingungen verhelfen – mit mehr Platz und Beschäftigung und mehreren unangemeldeten Kontrollen im Jahr. Das bietet kein anderes System.
Wie weit ist es schon verbreitet?
Schröder: Unser Anspruch ist es, in die Breite zu kommen. Da gibt es ehrlicherweise noch einiges zu tun. Es gibt bisher rund 560 Betriebe, die nach den Kriterien unseres Tierschutzlabels wirtschaften, zwei Drittel nach den Kriterien der Einstiegsstufe und ein Drittel in der Premiumstufe. Das ist mir noch zu wenig. Aber immerhin haben wir damit in den vergangenen zwölf Jahren schon Millionen Tiere in bessere Zustände gebracht, vor allem Milchkühe, Hühner und Schweine.
Produkte mit dem Label Für Mehr Tierschutz sind bereits in den Regalen von 28 Handelsunternehmen zu finden. Man bekommt mittlerweile in fast jedem größeren Supermarkt ein solches Produkt. Außerdem haben wir mit unserem Schritt andere Unternehmen angestachelt, uns zu folgen, und der Handel hat tatsächlich mit seiner Kennzeichnung der "Haltungsform" reagiert. Damit ist allerdings die Marktkonkurrenz größer geworden – wobei Produkte, die beim Tierschutz schlechter sind, vom Handel leider dennoch in dieselbe Stufe eingruppiert werden.
Tierschutzabgabe statt höhere Steuern
In der Debatte sind neben neuen Labels auch Tierschutzabgaben und höhere Steuern zur Linderung der Leiden im Stall. Erhoffen Sie sich davon etwas?
Schröder: Jeder, der am Fleisch verdient, und jeder, der Fleisch isst, sollte seinen Beitrag dazu leisten, dass es den Tieren so gut wie irgend möglich geht. Deswegen erwarte ich von Verbrauchern und vom Handel einen Beitrag, der zweckgebunden bis zum Landwirt zurückgeführt wird, damit er mehr Tierschutz umsetzen kann.
Ich wünsche mir vom Handel auch den Mut zum Auslisten. Eigentlich muss er sagen: Die unteren Haltungsformstufen 1 und 2 wollen wir nicht mehr im Regal. Wir wollen mehrheitlich auf die Stufen 3 und 4 umsteigen.
Welche Größenordnung können Sie sich für eine Abgabe vorstellen?
Schröder: Die Borchert-Kommission der Bundesregierung hat eine Abgabe von etwa 40 Cent pro Kilogramm Fleisch ausgerechnet, die es für den Umbau der Tierhaltung bräuchte. Die genaue Höhe muss natürlich betriebswirtschaftlich berechnet werden – und ob es am Ende 35 oder 45 Cent sind, ist zweitrangig. Aber ich bin froh, dass die Debatte nun da ist. Wir brauchen sie.
Von höheren Steuern halten Sie nichts?
Schröder: Ich werbe ausdrücklich für eine Tierschutzabgabe. Erstens, weil Steuern nicht zweckgebunden sind und nur dazu dienen könnten, Haushaltslöcher zu stopfen. Und zweitens, weil diejenigen zahlen sollten, die das Fleisch auch konsumieren. Heute schon zahlen aber auch Veganer Steuern dafür, dass Umweltschäden durch die Intensivtierhaltung behoben werden. Hier braucht es eine klare Verantwortung derer, die sich am System beteiligen.
Daneben kann eine Erhöhung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Fleischprodukte von 7 auf 19 Prozent kommen. Denn ich halte es nicht für logisch, dass wir subventionieren, was klimaschädlich ist. Gleichzeitig empfehle ich, den Mehrwertsteuersatz für pflanzliche Ernährung zu senken, um eine Sozialdebatte zu vermeiden. Hafermilch oder Süßkartoffeln, zum Beispiel, werden immer noch mit 19 Prozent besteuert.
Durch die Steueranpassungen könnte der jeweilige Preis hin zu mehr pflanzlicher Ernährung lenken. Da kann dann keiner mehr sagen: Wir können uns die Ernährung nicht mehr leisten. Die Frage ist nur, ob und wieviel Fleisch man noch isst.
Tierschutzbund begrüßt sinkenden Fleischkonsum
Laut Statistik ist der durchschnittliche Fleischverzehr in Deutschland seit 1991 immerhin von 64 auf 52 Kilogramm pro Kopf gesunken. Wo wollen Sie hin?
Schröder: Jedes Stück Fleisch weniger ist ein Beitrag zu mehr Tierschutz und mehr Klimaschutz. Und ich bin gern dabei, wenn es heißt: Wollen wir überhaupt noch Fleisch essen und tierische Lebensmittel konsumieren, obwohl es andere Möglichkeiten gibt? Das Ziel hin zu weniger Fleischproduktion und -konsum muss auf der politischen Agenda bleiben.
Wir erleben bereits ein Bauernhofsterben, und weniger Fleisch kann das Aus für Landwirte bedeuten. Was sagen Sie denen?
Schröder: Ich bin ein leidenschaftlicher Mitkämpfer an der Seite des Bauernverbands für Subventionen und mehr Förderungen, wenn sie mit Gemeinwohlzielen wie dem Tierschutz verbunden sind! Allerdings habe ich das Gefühl, dass die Ziele des Bauernverbands oft nicht dem Gemeinwohl dienen, sondern dessen Alleinwohl.
Aber klar ist: Ein Bauer muss mit seiner Arbeit seine Familie ernähren können. Auch wir wollen Einkommensmöglichkeiten für Landwirte sichern. Mit einer Kombination aus einer Tierschutzabgabe und einem Label, das bessere Haltungsformen würdigt, sind diese Ziele auch tier-, verbraucher- und bauerngerecht zu schaffen.
Sehen Sie Beispiele, wo dies mit einer artgerechten Tierhaltung gelingt?
Schröder: Viele Bio-Höfe und -Betriebe mit unserem Label leben ganz gut von ihrer Arbeit. Sicher erlebt man Schwankungen im Jahreslauf und mal ein gutes, mal ein schlechtes Jahr. Aber sie existieren und können mit einer tiergerechten Haltung gut wirtschaften.
Wenn wir gesellschaftlich anerkennen, dass ein Tier nicht nur einen Preis hat, sondern einen Wert, dann schaffen wir auch andere Einkommenschancen für die Landwirtschaft. Dazu gehören nur politischer Mut – und natürlich auch Geld.
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