- In den westlichen Industriestaaten haben heute teilweise 20-mal so viele Menschen eine Allergie wie noch vor wenigen Jahrzehnten.
- Verantwortlich dafür ist unter anderem der Klimawandel. Denn die milden Temperaturen sorgen dafür, dass viele Pflanzen besser wachsen, länger blühen und mehr Pollen freisetzen als früher.
- Die bislang einzige Methode, die die Ursache einer Allergie adressiert, ist die Hyposensibilisierung.
Das Beifußblättrige Traubenkraut ist ein typisches Unkraut: Nicht besonders hübsch, wächst gern an Straßenrändern, in Kiesgruben oder auf dem Acker. Die gefiederten Blätter bewegen sich irgendwo zwischen Farn, Tomate und Möhrenkraut. Selbst wenn sie blüht, ist die Pflanze alles andere als fulminant: Das bisschen Gelb an den Blütenständen, die dann wie Kerzen in den Himmel ragen, fällt kaum auf.
Übersehen kann man Ambrosia artemisiifolia (oder kurz: Ambrosia) leicht – ignorieren lässt sie sich nicht. In der ganzen Bundesrepublik haben Kommunen und Länder der unscheinbaren Pflanze den Kampf angesagt: Sie wird mit heißem Wasser überbrüht, niedergemäht, mit Mundschutz und Handschuhen ausgerissen, in Säcke gesteckt und verbrannt.
Beispiel Ambrosia: So hängen Klimawandel und Allergien zusammen
Das Land Bayern startete im Jahr 2007 ein Aktionsprogramm, um das Beikraut zu bekämpfen. Brandenburg stellte 2018 einen Ambrosiabeauftragten ein. In der Schweiz gilt seit 2006 sogar eine Melde- und Bekämpfungspflicht. Denn die unscheinbare Pflanze ist hochgradig allergen.
Pro Saison kann ein einziges Exemplar bis zu einer Milliarde Pollen freisetzen – so viel wie eine ganze Birke. Schon fünf bis zehn der winzigen Pollen in einem Kubikmeter Luft reichen aus, um eine allergische Reaktion auszulösen. Weil die Pollen der Ambrosia besonders klein sind, dringen sie tief in die Lunge ein. Das Asthmarisiko ist bei einer Ambrosia-Allergie hoch.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Pflanze in Deutschland kaum ein Problem. Dabei kam das Beifußblättrige Traubenkraut schon im 19. Jahrhundert aus Nordamerika nach Europa, vermutlich in verunreinigten Futtermitteln. Die einjährige Pflanze blüht im August und September. Damit ihre Samen reifen, brauchen sie einen milden Herbst.
Lange Zeit konnte sich Ambrosia in Deutschland deshalb nicht ausbreiten. Doch mit der Klimakrise änderte sich das. Seit den 90er-Jahren verbreitet sich die Pflanze auch in der Bundesrepublik. Mittlerweile kommt sie in allen Bundesländern vor – vor allem in Brandenburg und Süddeutschland.
Klimawandel ist für Allergiker eine Herausforderung
Laut Allergieinformationsdienst des Helmholtz Zentrums München reagieren 14 Prozent der Deutschen allergisch auf den Neophyten. "Der Klimawandel ist insbesondere für Allergikerinnen und Allergiker eine Riesenherausforderung", sagt Claudia Traidl-Hoffmann, die das Institut für Umweltmedizin am Helmholtz Zentrum München leitet und als eine der führenden Umweltmedizinerinnen gilt.
Die Europäische Stiftung für Allergieforschung (ECARF) geht davon aus, dass Allergien weltweit die am häufigsten verbreitete chronische Erkrankung sind. Besonders oft sind junge Menschen in Europa betroffen. Die meisten leiden an Heuschnupfen. Und die Zahlen steigen.
In westlichen Industriestaaten haben heute teilweise 20-mal so viele Menschen eine Allergie wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Im Jahr 2050 könnte in Europa jeder Zweite betroffen sein. In Deutschland könnten dann 36 Millionen Menschen allergisch auf den Blütenstaub von Pflanzen reagieren.
Klimawandel lässt Pflanzen länger blühen
Die Klimakrise beeinflusst die Pollen gleich mehrfach: Kohlendioxid, Hitze, Trockenheit, aber auch Luftschadstoffe wie Ozon, Stickstoffdioxid und Feinstaub verändern ihre Beschaffenheit. Sie führen dann schneller zu allergischen Reaktionen, die zudem stärker ausfallen können. Lagern Pollen sich an Schadstoffpartikel an, können sie noch heftigere Beschwerden auslösen.
Zwar sinkt die Luftverschmutzung in Deutschland laut Umweltbundesamt seit rund 30 Jahren. Doch in Großstädten und an anderen Orten mit viel Verkehr werden die Grenzwerte nach wie vor immer wieder überschritten.
Kohlendioxid wirkt zudem wie ein natürlicher Dünger: Die Pflanzen wachsen besser, blühen länger und setzen mehr Pollen frei. Laut der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID) ist die Konzentration von Hasel-, Erlen-, Birken-, Eschen- und Gräserpollen in der Luft in den vergangenen 20 Jahren tendenziell gestiegen. Noch dazu ist Ambrosia nicht die einzige Allergiepflanze, die von den milderen Temperaturen in Deutschland profitiert – auch der Olivenbaum und die Zypresse könnten künftig vermehrt zu Allergien führen.
Pollensaison inzwischen fast ganzjährig
Am deutlichsten merken viele Allergikerinnen und Allergiker allerdings, dass es bereits heute mehr Tage gibt, an denen Pollen durch die Luft fliegen, als noch vor wenigen Jahrzehnten. In Deutschland beginnt die Pollensaison traditionell mit der Haselblüte – es folgen Pappel, Birke und Esche, im Frühsommer die Gräser, zum Schluss Brennnessel und Beifuß.
Im Winter konnten Pollenallergiker früher durchatmen. Doch je weiter die Klimakrise voranschreitet, umso weniger ist auf diese beschwerdefreien Wochen Verlass: Die aktuelle Pollensaison begann mancherorts schon im Dezember, als die ersten Haselsträucher ihren Blütenstaub fliegen ließen. Die Pollen von Beifuß und Brennnessel können bis in den November unterwegs sein. Im Schnitt blüht die Natur heute drei Wochen länger als vor 30 Jahren. Die Haselblüte hat sich seit 1951 um vier Wochen nach vorn verschoben.
In einigen Jahren und an manchen Orten befinden sich deshalb an jedem einzelnen Tag Pollen in der Luft. Von einer Pollensaison kann man vor diesem Hintergrund kaum noch sprechen. Besonders anstrengend ist das für alle, die bereits eine Pollenallergie haben: Ihre Symptome werden schlimmer und treten über einen längeren Zeitraum im Jahr auf.
Je wärmer es wird, desto wahrscheinlicher wird es aber auch, dass Menschen, die bisher keine Allergie hatten, eine bekommen. "Je mehr und je länger sich Pollen in der Luft befinden, desto größer ist das Risiko, dass auch bislang nicht Erkrankte eine Allergie entwickeln", erklärt der Allergieinformationsdienst des Helmholtz Zentrums München.
Auch Zecken werden zum Problem
Aber nicht nur Heuschnupfen könnte in Zukunft häufiger auftreten. Zecken breiten sich aufgrund der milderen Winter in Deutschland immer weiter aus. Sie übertragen nicht nur Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), sondern können auch das Alpha-Gal-Syndrom hervorrufen – auch bekannt als Fleischallergie. "Das ist eine wichtige Allergie, von der man wissen sollte", erklärt Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann. "Sie tritt bisher selten auf, nimmt aber zu."
Das Zuckermolekül Alpha-Gal kommt zum Beispiel im Fleisch von Rindern, Schweinen und Schafen vor. Gelangt es durch einen Zeckenstich in die menschliche Blutbahn, kann das zu einer Allergie führen – so jedenfalls die aktuelle Theorie. Essen betroffene Personen Fleisch, kommt es zu allergischen Reaktionen wie Atemnot, Nesselsucht oder gar einem anaphylaktischen Schock – und zwar meist erst Stunden nach dem Verzehr.
Auch Eichenprozessionsspinner profitiert vom milderen Klima
Auch Cryptostroma corticale könnte zu einem Problem werden: Der Pilz, der aus Nordamerika stammt, kann bei Ahornbäumen die sogenannte Rußrindenkrankheit auslösen. Seit 2017 kommt er vermehrt in Deutschland vor. Einige Menschen reagieren auf seine Sporen allergisch. Wenn man betroffene Bäume fällt oder ihr Holz verarbeitet, ist daher besondere Vorsicht geboten.
Etwas bekannter dürfte der Eichenprozessionsspinner sein. Wenn es im Frühjahr mild ist, kommt der Nachtfalter besonders häufig vor. Seine Raupen sind mit winzigen Brennhärchen bestückt, die allergische Reaktionen auslösen können. Schimmelpilze sind ebenfalls auf dem Vormarsch. Der höhere CO2-Gehalt in der Luft fördert ihr Wachstum. Auch nach Stürmen, Starkregen und Hochwasser gedeihen sie gut – sowohl drinnen als auch draußen.
Allergien am besten mit Hyposensibilisierung behandeln
Der erste Schritt, um diesen Veränderungen zu begegnen: Die eigene Allergie besser kennenlernen – und ernstnehmen. Die Stiftung ECARF geht davon aus, dass 90 Prozent der Europäerinnen und Europäer mit Allergien nicht oder zu wenig behandelt werden.
Das Problem: Bekämpft man nur die Symptome wie Niesen, juckende Nase, tränende Augen oder Kopfschmerzen, zum Beispiel mit Nasenspray und Augentropfen, kann langfristig ein allergisches Asthma entstehen. Die Allergie betrifft dann nicht mehr nur die oberen, sondern auch die unteren Atemwege.
Die bislang einzige Methode, die die Ursache einer Allergie adressiert, ist die Hyposensibilisierung. Dabei wird das Immunsystem regelmäßig mit dem Allergen in Kontakt gebracht, sodass es sich an den Stoff gewöhnt. Meistens werden die Symptome so zumindest besser oder verschwinden sogar ganz.
Neurodermitis als Einfallstor für Allergien
Claudia Traidl-Hoffmann sieht auch in der Behandlung von Neurodermitis einen Weg, um Allergien vorzubeugen. Die chronisch entzündliche Hauterkrankung zählt selbst nicht zu den Allergien. Ist die Schutzbarriere der Haut gestört, wie es bei Neurodermitis der Fall ist, können Allergene wie Pollen, Hausstaubmilben und Tierhaare jedoch leichter in den Körper eindringen und einen Schub auslösen. "Die Haut wird durchlässiger", erklärt die Dermatologin.
Trockenheit, schwüles Wetter und Umweltgifte wie Ozon und Abgase können die Symptome einer Neurodermitis zusätzlich verschlimmern: Bei Hitze kann sich das atopische Ekzem weiter ausbreiten, der Juckreiz nimmt zu. In überhitzten Dachgeschosswohnungen oder während Hitzewellen kann die Neurodermitis regelrecht aufflammen.
Bei Kindern gilt die Erkrankung zudem als Einfallstor für Allergien. "Indem wir die Barriere wieder herstellen, können wir Allergien verhindern", sagt Traidl-Hoffmann. Ob das auch bei Erwachsenen funktioniert, untersucht sie gerade in einem Forschungsprojekt.
Wie Allergien durch Stadtplanung gemildert werden könnten
Für Karl-Christian Bergmann, den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst, muss die Stadtplanung zudem umdenken. "Wir haben wenig Einfluss auf den Pollenflug insgesamt", sagt der Arzt, der am Institut für Allergieforschung der Berliner Charité arbeitet. "Wir können aber beeinflussen, welche Pollen in Städten vorkommen."
Bäume wie Hasel, Erle und Birke, aber auch der Götterbaum, der aus Asien stammt und sich in Deutschland vor allem in Städten verbreitet hat, sollten in urbanen Gebieten aus seiner Sicht nicht mehr gepflanzt, Beifuß und Ambrosia herausgerissen werden.
Als Alternative schlägt er etwa Büffelgras vor, das wenige bis keine Pollen freisetze. Denn natürlich sind Grünflächen auch in Zukunft wichtig, um unsere Städte in den immer heißeren Sommern zu kühlen – gerade für Menschen mit Allergien.
"Hitzeinseln führen dazu, dass vor allem Personen mit bereits geschädigten Schleimhäuten noch mehr leiden", erklärt Bergmann. An kühlen Plätzen mit niedriger Schadstoffbelastung können sie dagegen kurz durchatmen. "Halten Sie sich ans Tempolimit", rät der Arzt deshalb. Das hilft Klima und Gesundheit gleichermaßen.
Was ist eigentlich Gewitterasthma?
Unter Gewitterasthma versteht man allergische Beschwerden, die im Zuge eines Gewitters auftreten. Weltweit bekannt wurde das Phänomen im Jahr 2016. Damals mussten im australischen Melbourne mehrere Tausend Personen behandelt werden, weil sie nach einem Gewitter an Asthma und anderen allergischen Symptomen litten.
Es wird vermutet, dass die starken Winde, die während eines Gewitters häufig auftreten, viele Pollen und Pilzsporen aufwirbeln, die dann aufgrund von Feuchtigkeit und der elektrostatischen Aufladung in winzige Teile zerplatzen. Fallwinde transportieren die Pollensplitter zurück in Bodennähe. Sie können besonders tief in die Lunge eindringen, sodass es zu heftigen allergischen Reaktionen kommt. Typischerweise treten die Beschwerden 20 bis 30 Minuten nach Beginn eines Gewitters auf.
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