Das Mädchen soll 12 minus 12 rechnen. Ihr Ergebnis: 11. Juliane Leuders, Dozentin der Pädagogischen Hochschule in Freiburg, erklärt, wie es dazu kommt. Die Schülerin subtrahiert nicht, sondern sie streicht gedanklich die 12 in der Zahlenreihe durch - übrig bleibt als darunter liegende Zahl die 11. Derartige Fehler sind typisch für Kinder mit einer Rechenschwäche. Denn viele von ihnen können nicht verstehen, dass eine Zahl immer zwei Funktionen hat: dass die 12 zum einen für eine Menge steht, zum anderen für eine Position im Zählprozess.
Die Teilleistungsschwäche Dyskalkulie ähnelt ein Stück weit der Lese-Rechtschreib-Störung: Sie betrifft Kinder, deren Rechenfertigkeiten auffällig stark beeinträchtigt sind, obwohl sie nicht weniger intelligent sind. Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) geht davon aus, dass drei bis sieben Prozent der Kinder und Erwachsenen in Deutschland von der Rechenschwäche betroffen sind.
Sie tritt in ganz verschiedenen Ausprägungen auf: Viele Betroffene haben keine Idee davon, was sich hinter einer Zahl oder einer Menge verbirgt. Sie verstehen etwa nicht, dass die 7 größer ist als die 5. Anderen gelingt es nicht, sich Rechenwege zu merken. Sie können nicht erfassen, was Addieren bedeutet oder wie sie Zahlen multiplizieren. Beim Plus- und Minusrechnen im Zahlenraum bis 10 helfen sich viele noch mit den Fingern, ihre Rechenschwäche fällt erst danach auf, wenn das Rechnen mit zweistelligen Zahlen zunimmt. Nach Angaben des BVL gibt es aber durchaus im Kindergarten schon erste Hinweise darauf, dass eine Rechenschwäche vorliegen könnte: Wenn Kinder auffällige Probleme bei der räumlichen Wahrnehmung haben oder wenn sie Fünfergruppen bilden sollen - und eines von ihnen einfach nicht versteht, ob eine Gruppe schon voll ist oder nicht.
Laut BVL sollten Ärzte für Kinderpsychiatrie oder Kinderpsychotherapeuten die Dyskalkulie diagnostizieren: bestenfalls über standardisierte Rechen- und Intelligenztests. Sie untersuchen das Kind und befragen sein Umfeld.
Einen rechtlichen Anspruch auf schulische Unterstützung - wie bei der Lese-Rechtschreib-Störung - haben Kinder mit Dyskalkulie nicht. Das liegt an einem Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2007. Darin erlauben die Minister zwar, "Schüler mit manifesten Rechenstörungen" in der Grundschule besonders zu unterstützen. Aber darin heißt es auch, dass eine Rechenstörung nicht mit der Lese-Rechtschreib-Störung gleichgesetzt werden könne. Ursache, Entstehung und Ausprägung seien dafür "nicht hinreichend erforscht und abgesichert". Bis heute gilt dieser Beschluss. Aber es gibt dennoch Schulen, in denen Lehrer auf Kinder mit einer Rechenschwäche besonders eingehen, ihnen beispielsweise mehr Zeit bei Prüfungen geben oder ihnen erlauben, Hilfsmittel wie Zahlentabellen zu benutzen.
Beim Thema Dyskalkulie scheiden sich nach wie vor die Geister: Es gibt Wissenschaftler, die davon überzeugt sind, da...