Von wegen freie Fahrt für freie Bürger! Verstopfte Innenstädte, überfüllte Parkplätze, Lkw-Schlangen - nichts geht mehr. Alle Kunst der Fahrzeugbauer mit neuartigen Antrieben und sparsamen Motoren hilft beim Problem Verkehrschaos wenig. Warum wir dennoch so gebannt die Neuerungen verfolgen, erklärt Martin Lanzendorf, Professor für Mobilitätsforschung an der Uni Frankfurt am Main: "Wir hoffen auf technische Lösungen, weil wir unser Verhalten nicht ändern wollen." Denn Autos bewegen Menschen nicht nur von A nach B, sondern auch emotional. Sie geben ihnen - auf freier Strecke - ein Gefühl von Unabhängigkeit und Stärke. Längst steht bei den Fahrten nicht mehr der Broterwerb im Vordergrund, ermittelte Karl Otto Schallaböck, Mobilitätsforscher am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie: "Die Hälfte der Pkw-Fahrstrecken entfällt auf Freizeit- und Urlaubstrips." Zudem sind Autos mit die emotionalsten Produkte, die wir kennen - sie sind Symbole für Rangordnung und Prestige.
Bahnfahrer können bestenfalls hoffen, dass sie als vernünftig gelten - tiefe menschliche Gefühle weckt das nicht. Zum Glück genießen die Nutzer des öffentlichen Verkehrs immer öfter die Genugtuung, mit Bus oder Bahn am Autostau vorbeizufahren. Denn die Zahl der zugelassenen Pkws stieg im vergangenen Jahrzehnt um gut zehn Prozent auf 43 Millionen. Zählt man die geschätzten fünf Millionen Personenwagen hinzu, die vorübergehend stillgelegt wurden, ergibt sich für 2012 ein Gesamtbestand von etwa 48 Millionen Pkws. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es rund 40 Millionen Haushalte.
Das Chaos wächst
Mit welcher weiteren Entwicklung zu rechnen ist, hat der Ölkonzern Shell in einer Studie ermittelt. Demnach steigt die Zahl der Pkws bis 2020 noch einmal um zwei Millionen. Bis 2030 verharrt sie auf diesem Niveau, obwohl die Zahl der Einwohner um fast vier Millionen sinkt. Im kommenden Jahrzehnt nimmt auch die Zahl der gefahrenen Pkw-Kilometer, die jetzt bei 588 Milliarden Kilometern liegt, noch einmal leicht zu, um danach wegen der Alterung der Bevölkerung bis 2030 wieder auf das heutige Niveau zu sinken. Dennoch wächst das Chaos auf den Straßen dramatisch. Denn die Shell-Experten erwarten, dass der Lkw-Verkehr gemessen in Tonnenkilometern (tkm) - das ist das Produkt aus Ladegewicht mal Fahrstrecke - bis 2030 um rund 70 Prozent zulegt.
Die Prognosen des Bundesverkehrsministeriums sehen nicht viel anders aus. Obwohl die Fernstraßen mit Milliardenaufwand weiter ausgebaut werden, ist sicher: Die Staus nehmen zu. Die Große Koalition zeigte Einsicht: Ihr Masterplan Verkehr aus dem Jahr 2008 enthielt ein Kapitel Verkehr vermeiden - Mobilität sichern. Doch schon kurz nach ihrem Amtsantritt stoppte die folgende schwarz-gelbe Regierung mit einem Aktionsplan alle Ansätze, die den Straßengüterverkehr ihres Erachtens behinderten oder verteuerten.
"Beschränkungen sind keine Option", heißt es auch kategorisch im 2011 veröffentlichte...