Aktualisiert am 09.10.2015 | Eine Pille, die wirksam Erkältungen heilt - das dürfte der Traum so manchen Herstellers von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln sein. Das Präparat würde pünktlich mit Beginn der nasskalten Jahreszeit reißenden Absatz finden - und zwar alle Jahre wieder. Denn in der Hoffnung, das lästige Kratzen im Hals, die Hustenattacken und die Schniefnase schnellstmöglich loszuwerden, sind erkrankte Mitmenschen bereit, viel Geld für Erkältungsmittel in Apotheken oder Drogerien zu lassen.
Obwohl seit Jahren klar ist: "Vitamin-C- und Zinktabletten verhindern oder heilen Erkältung nicht." Das schrieb die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) schon 2008. Das galt zumindest bis zum Februar 2011, dann sah jedoch plötzlich alles ganz anders aus: "Zink hilft bei Erkältungen", titelte Spiegel Online, "Zink reduziert Erkältungsdauer", schrieb Focus Online.
Lindern Vitamin-C und Zink-Präparate Grippesymptome?
Für den Aufruhr sorgte nicht etwa eine neue klinische Studie. Stattdessen hatten sich Meenu Singh und Rashmi Das vom medizinischen Ausbildungs- und Forschungsinstitut in Chandigarh, Indien, die Arbeit gemacht, Datenbanken nach Zink und Erkältungen zu durchforsten. Sie suchten nach Studien, in denen Zinkpräparate entweder therapeutisch zu Beginn einer Grippe oder dauerhaft vorbeugend eingenommen wurden. Sie fanden 15 kontrollierte Studien mit insgesamt 1.360 Teilnehmern.
Der Teufel steckt jedoch im Detail. Zum einen sind die beobachteten Effekte bescheiden: Die Dauer der Erkältung verkürzte sich im Mittel gerade einmal um einen Tag. Zudem war man bei der Dosierung nicht zimperlich: Die Erwachsenen nahmen täglich 30 bis 160 mg Zink ein. Zum Vergleich: Hierzulande zur Behandlung eines Zinkmangels erhältliche Arzneimittel enthalten gerade einmal bis zu 25 mg Zink in einer Tagesdosis. Da wundert es nicht, wenn in den ausgewerteten Studien immer wieder Nebenwirkungen beschrieben werden.
Singh und Das machen noch auf zwei weitere Probleme aufmerksam: Für eine allgemeine Empfehlung zur Anwendung von Zink bei Erkältungen reichen die Daten nicht aus. Zudem fehlen Untersuchungen an chronisch Kranken, Immungeschwächten und Asthmapatienten - Menschen also, denen eine Erkältung prinzipiell gefährlich werden kann.
Vitamin-C und Zink-Präparate im Test: Fast alle fallen durch
ÖKO-TEST hat 21 Nahrungsergänzungsmittel mit Zink und Vitamin C eingekauft und unter die Lupe genommen. Die Bilanz ist lausig: Der Großteil der Präparate fällt durch: 13 Mittel schneiden mit "ungenügend", drei mit "mangelhaft" ab. Gerade mal ein Produkt erreicht ein "befriedigend" und vier Produkte ein "ausreichend".
Grund: Für einen Nutzen solcher Präparate gibt es keinerlei Belege. Eine vollwertige Ernährung enthält prinzipiell ausreichende Mengen an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen, um den Bedarf eines Erwachsenen problemlos zu decken. Um etwaige positive Wirkungen bei Erkältungen erzielen zu können, enthalten die untersuchten Präparate im Übrigen viel zu wenig Zink. Die in den Studien angesprochenen Mengen dürfen in Nahrungsergänzungsmitteln nämlich nicht zum Einsatz kommen. Für Nahrungsergänzungsmittel hingegen enthalten die meisten Präparate zu viel Zink, gut die Hälfte auch zu viel Vitamin C.
Vitamin-C und Zink-Präparate im Test sind häufig überdosiert
Mangels gesetzlich geregelter Höchstmengen für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln orientieren wir uns weiter an den Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Es ordnet Zink bei der Klassifikation von Nährstoffen der höchsten Risikoklasse zu. Eine erhöhte Zinkzufuhr kann zu Kupfermangel und zu Störungen in der Blutbildung führen. Das BfR schlägt in Nahrungsergänzungsmitteln eine tägliche Höchstmenge von 2,25 mg vor, häufig stecken in einer Tagesdosis aber 5, bisweilen sogar 10 mg.
Außerdem stellt das BfR klar, dass Kinder und Jugendliche keine Nahrungsergänzungsmittel mit Zink verzehren sollten. Viele Hersteller weisen darauf nicht hin. Für Vitamin C empfiehlt das BfR eine Tageshöchstdosis von 225 mg in Nahrungsergänzungsmitteln. In einigen getesteten Produkten sind es aber 300 mg, bei einem Präparat sogar 600 mg.
Depot- oder Langzeitwirkung von Präparaten hat keine Vorteile
Aussagen wie "zur Unterstützung der Abwehrkräfte" oder "besonders wichtig bei nasskalter Witterung" dienen lediglich dem Marketing: Weder schützt die Einnahme von Zink und Vitamin C vor Erkältungen noch verkürzt sie deren Dauer wesentlich. Trotzdem finden sich solche Hinweise auf vielen Produkten.
Einige Produkte werben mit einer Depot- oder Langzeitwirkung. Auf diese Weise soll Vitamin C über den Tag verteilt dem Körper zur Verfügung gestellt werden. Das bringt dem Anwender aber keine Vorteile. "Hinsichtlich einer kontinuierlichen Bereitstellung (im Darm) von Vitamin C über den Tag kenne ich keine Studie, die die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme belegt", erklärt Professor Peter Stehle, Ernährungswissenschaftler an der Uni Bonn.
Diesen Test haben wir bereits im ÖKO-TEST Spezial Vitamine veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Jahrbuch für 2016 sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.
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