Es ist paradox: Da bieten die Buchhandlungen regalmeterweise pädagogische Literatur an - und jetzt raten Bindungsforscher wie Fabienne Becker-Stoll vom Staatsinstitut für Frühpädagogik in München den Eltern, die Bücher öfters mal wegzulegen und sich stärker auf ihre Intuition zu verlassen. Denn häufig werden Eltern durch die Vielzahl von - auch gegenläufigen - Ratschlägen verunsichert. Sie erkennen nicht mehr die Bedürfnisse des eigenen Kindes oder misstrauen ihren eigenen Beobachtungen und Schlussfolgerungen. Anregungen kann man sich aus Ratgebern natürlich holen - aber weil kein Kind so ist wie das andere, kann es auch kein allgemeingültiges "Regelwerk" für die Erziehung geben. Wer sich mit Schwangeren unterhält, wird feststellen, dass sich kaum eine Mutter in spe über Erziehungsfragen Gedanken macht. "Das ergibt sich dann schon irgendwie", ist die unbekümmerte Einstellung. Das ändert sich, sobald das Kind da ist. Verhalten wird zum Unsicherheitsfaktor: Darf das Baby einen Schnuller bekommen? Soll man es in Ruhe lassen oder beschäftigen? Verwöhnt man das Kind, wenn man bei jedem Schreien herbeispringt?
Die gute Nachricht: Kleine Babys kann man noch gar nicht verwöhnen. Wer seinem Instinkt folgt und sich um die Bedürfnisse des Babys kümmert, macht alles richtig. Das heißt nicht, dass man auf jeden Mucks reagieren muss. Wenn das Baby nur ein bisschen meckert, beruhigt es sich meist von allein wieder, ohne dass man es hochnimmt. Doch wirkliches Geschrei stimmt kein Baby ohne Grund an. Das Kleine hat Hunger, die Windel ist voll, es fühlt sich unwohl oder langweilt sich.
Bleibt das Weinen unbeachtet, steigern sich Babys in das Geschrei hinein und können sich selbst nicht mehr beruhigen. Kinderpsychiater Karl-Heinz Brisch, Oberarzt am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München, warnt: "Weint das Kind, dann fühlt es sich hilflos und alleine. Wenn niemand kommt, um zu helfen, ist der Stress groß und das Kind macht die Erfahrung, dass es sich in der Not auf niemanden verlassen kann."
Erziehen im klassischen Sinn kann man einen Säugling noch nicht. Man kann ihm nichts erklären, keine verbindlichen Regeln aufstellen. Doch Regelmäßigkeit kann nach und nach zu einem Regelwerk werden, wenn das Kind größer wird und die Regeln versteht. Und Babys brauchen Regelmäßigkeit, eine Tagesstruktur, die sich an ihren Bedürfnissen orientiert. Jedes Baby verlangt unterschiedlich viel Ruhe, Schlaf und Anregung. Aufgabe der jungen Eltern ist es, herauszufinden, was das Kind wann braucht.
Für alle ist es am angenehmsten, wenn man versucht, den Rhythmus des Kindes mit den eigenen Gewohnheiten in Einklang zu bringen. Zum Beispiel das Thema Schlafen: Ist das Baby abends um acht Uhr putzmunter, hat es keinen Sinn, es ins Bettchen zu legen, auch wenn man in Ruhe Tagesschau gucken will. Man kann probieren, das Kind hinzulegen, wenn man selbst schlafen geht, damit es nicht wieder wa...