Was aus einem Verwandtenbesuch nicht alles werden kann: Der Onkel aus Ungarn, von Beruf Chemiker, nutzte seinen Aufenthalt bei Familie Mentzer im New Yorker Stadtbezirk Queens, um ein paar Hautcremes anzurühren - erst in der Familienküche, später in einem Hinterhauslabor. Das gefiel seiner Nichte Josephine Esther, die nichts Eiligeres zu tun hatte, als ihren Namen in Estée zu ändern - der Nachname Lauder kam später durch Heirat hinzu - und mit Onkels Salben auf Verkaufstour zu gehen. In Friseursalons pries die junge Estée Proben von Hautverschönerern und Make-ups an, während die Damen unter der Trockenhaube saßen. Ihr Motto: "Jede Frau kann schön sein".
Später spannte sie auch ihren Ehemann, Joseph Lauder, ins Geschäft ein. 1946 gründete die Selfmadeunternehmerin ihre eigene Firma. Estée Lauders Überredungskünste und ihr Geschäftssinn müssen überwältigend gewesen sein. Schon ein Jahr nach der Unternehmensgründung bekam sie einen Großauftrag vom Nobelkaufhaus Saks Fifth Avenue. Dort einen Verkaufsstand zu ergattern galt als fast unmöglich. Später gelang ihr ein ähnlicher Coup in London bei Harrods. Jahrelang hatte sie den Besitzer des teuren Einkaufstempels sowie dessen Kosmetikeinkäufer und die britische Presse bearbeitet.
Um einen kessen Spruch war sie nie verlegen
Ihre Kundinnen umgarnte Lauder, indem sie ihnen höchstpersönlich Cremes und Schminke auflegte und Gratispröbchen ihrer Produkte verteilte. Die New Yorkerin mit osteuropäischen Wurzeln war davon überzeugt, dass Mundpropaganda von Frau zu Frau die beste Werbung sei. Trotzdem setzte sie auch Werbepost ein, engagierte Topmodels und wandte sich im Radio an ihre Kundinnen. Um einen kessen Spruch war sie dabei nie verlegen. Im umsatzschwachen Monat Januar trällerte sie den Hörerinnen zu: "Beginnen Sie das Jahr mit einem neuen Gesicht!"
Jeden neuen Verkaufsstand im ganzen Land weihte sie persönlich ein und blieb dann ein paar Tage, um das Personal zu unterweisen, mit der Presse zu sprechen und mit den Kundinnen zu plauschen. Dabei analysierte sie genau die Vorlieben ihrer Klientel - sie war ein wandelndes Ein-Frau-Marktforschungsunternehmen. Ihre älteren Konkurrentinnen, Elizabeth Arden und Helena Rubinstein, mögen sich schwarz darüber geärgert haben, dass sie nicht selbst auf die Idee mit den Kaufhäusern gekommen waren. Deren Produkte gab es nur in Schönheitssalons und eigenen Läden.
Mit bescheidenen vier Produkten fing die Geschichte von Estée Lauder an. Heute gehören dem Konzern fast 30 Kosmetikmarken, darunter La Mer und Clinique, Aveda, MAC, Origins und Tommy Hilfiger. Zum Produktportfolio des Unternehmens zählen Hautpflegeprodukte und Selbstbräuner, Make-ups und Schminkutensilien sowie Düfte. Manches davon hat die Gründerin, die 2004 verstarb, noch selbst angestoßen. Einer ihrer größten frühen Erfolge war das duftende Badeöl Youth Dew von 1953. Bei der Kreation von Marken wie Origins, Aramis und Clinique hatte si...